Aarsblicker Neuigkeiten

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 10 Jan 2017, 16:30


Brief an den Reichskanzler Blasius Seiburger

Verehrter Reichskanzler

Ich hoffe, dass diese Zeilen euch bei guter Gesundheit erreichen und dass es dem Herrn Sigmar gefallen möge, uns in diesem neuen Jahr weniger hart zu prüfen.

Durch den schweren Kälteeinbruch kurz nach der Mittwinternacht ist unsere Verfolgung der Darothssöhne ins Stocken geraten, aber auch sie konnten sich in Frost und Schnee nicht mehr weiter bewegen. Nun, da das Wetter wieder aufgeklart ist, wird unser Gegenangriff wieder an Schwung aufnehmen. Es ist nicht mehr weit bis zur Küste, die Feinde haben kaum noch Boden, den sie aufgeben können. Es scheint, als würden sie beim Dorf Eschenborn konvergieren und darauf zielt nun unser Vormarsch. Wir haben auf der linken Seite bei Ahlsbach Fühlung aufgenommen zum ersten Axtfelser Regiment, das sich ebenfalls auf Eschenborn bewegt.

Am heutigen Morgen entdeckten wir vor uns ein Banner Feinde, das sich zum Kampf stellen wollte. Als sich die Herzogsstolzer gerade zum Sturm formierten, tauchte vor uns eine große Anzahl berittener Feinde auf, die uns auf der rechten Seite umrunden wollten. Es ist gerade noch rechtzeitig gelungen, einen Gewalthaufen zu formen, um diese erste Attacke abzuwehren, wenn auch einige Magnusbrunner nicht rechtzeitig ins Geviert fanden und auf offenem Gelände überritten wurden. Ich muß dem Herrn Karolus Mückeburg von Ährfeld zu seiner Entschlusskraft gratulieren, das Schließen der Reihen zu befehlen, bevor die letzten Männer aufgenommen werden konnten, auch wenn er damit ihr Leben preisgab. Das Karree hält sicher gegen Reiterei, aber wenn die Reihe noch offen gewesen wären, um auch die letzten Männer noch durch zu lassen, wenn die feindlichen Reiter diese Stelle erreichten, wäre es gebrochen worden und Falkenstein hätte sich einer ernsten, möglicherweise vernichtenden Niederlage gegenüber gesehen.

Die feindliche Kavallerie suchte dann tatsächlich, das Karree aufzubrechen und wurde blutig zurück geschlagen. Sie griffen noch weitere Male an, mal das Geviert umschwärmend, mal als Lanze formiert den Durchbruch suchend. Unsere Schützen hielten reiche Ernte unter den Feinden, die aber nicht nachließen, bis Reiter aus Heideweit und Kappeln zur Unterstützung das Feld erreichten und sie zwischen den Fußtruppen und der Falkensteiner Kavallerie in der Zange waren.

Wie es scheint, haben wir an diesem Tag die Reiterei der Darothssöhne geschlagen, nach Ansicht des Generalsstabes, basierend auf den Beobachtungen während der Schlacht von Eichstätt, scheint heute jeder Reiter, über den die feindliche Armee verfügte, im Feld gewesen zu sein.

Dies ist natürlich ein Anlass zur Freude, aber mich treiben dazu tiefere Gedanken um. Kavallerie zu verschiffen ist ungleich aufwändiger und zeitraubender als Fußvolk, und ich sorge mich, dass dieser Angriff heute uns soweit in Unordnung bringen sollte, dass wir nicht rechtzeitig vorstoßen können, um den Rückzug der Feinde auf ihre Flotte zu unterbinden.

Daneben beschäftigt mich die Sinnlosigkeit des Angriffs. Nachdem die Falkensteiner Truppen zum Karree formiert waren, entstand ein Patt auf dem Feld, in dem keine Seite der anderen ernsthaft Schaden zufügen konnte. Anschließend die Kavallerie wieder und wieder gegen das Geviert anrennen zu lassen war sinnlos und führte nur zu ihrer vollständigen Vernichtung.

Was mich wiederrum zu meinem dritten Punkt bringt. Von all den Männern, die sich uns heute entgegen stellten, haben wir keinen einzigen Gefangenen nehmen können. Dies ist zum Teil darin begründet, dass sie mit fanatischem Eifer kämpften, aber auch darin, dass unsere Soldaten nicht sehr daran gelegen ist, einen Feind lebend davon kommen zu lassen. Die Stimmung in der Truppe ist schlecht, die Männer werden aufsässig, wenn man sie zügeln will, wir haben zu viele arme Seelen an Bäumen hängen sehen, zu viele Häuser niedergebrannt gefunden. Gnade ist ein seltenes Gut geworden in dieser Armee. Ich sorge mich um die Tage nach diesem Feldzug, wenn die Soldaten, die hier gelernt haben wie billig ein Menschenleben ist, und dass Folter und Qual eines Gefangenen annehmbare Taten sind, sich im nächsten Krieg betragen, oder auch nur zuhause im Kreis ihrer Familie.

Daher möchte ich den Kanzler bitten, das Feldlager aufzusuchen, sobald wir des Sieges gewiss sind und dass keine Gefahr mehr durch die Invasoren besteht. Sprecht zu den Männern und ruft ihnen in Erinnerung, auf welche Werte und Gedanken das Herzogtum Falkenstein aufgebaut ist, sonst, so fürchte ich, haben unsere Feinde trotz ihres Untergangs aus uns ein Reich, eine Nation böser Menschen geformt, ein Volk grausamer und rachsüchtiger Kreaturen.

Zum Schluss möchte ich noch eine Anekdote weitergeben, die uns hier in große Verwirrung gestürzt hat. Eine Faust des zweiten Greifenheimer ist zu einem Gehöft vorgestoßen und hat dort tatsächlich die bewohnende Familie wohlauf gefunden. Die guten Menschen berichteten darauf, dass sie während des ursprünglichen Angriffs Schutz gefunden hatten in einem nahen Wald, aber beim Rückzug der Feinde von einer Streife Kavallerie in den Trümmern überrascht wurden. Sie suchten, in den Keller zu fliehen und hörten von oben Geräusche eines Kampfes. Als sie sich wieder ans Tageslicht wagten, fanden sie die Pferde der Streife sorgfältig angebunden, die feindlichen Soldaten ordentlich aufgereiht, allesamt von Pfeilen niedergestreckt, und einen Dolch in der Brust des Anführers mit einem blauen Stein als Knaufabschluss und einer Klingeneinfassung in Form eines Falken. Die Familie sagte aus, niemanden gesehen zu haben, der diese Taten vollbracht hätte. Wir stehen hier vor einem Rätsel ob der Identität der Falkensteiner Beteiligten.

Daneben haben wir heute eine erhebliche Anzahl an Pferden erbeutet, die nun mit leichter Bewachung auf einer provisorischen Koppel gesammelt sind, eine Mischung verschiedener Rassen unterschiedlicher Tauglichkeiten für militärische und zivile Verwendung. Nach dem Abschluss des Zuges werden sich kundige aus der Truppe, namentlich Oberst Erlenschwang und andere Vertreter vom Aarseyhof daran machen, die Beute genauer zu begutachten, zunächst aber gilt unser Augenmerk der Verfolgung der feindlichen Truppen.

Ich verbleibe

Raphael von Langeneck

im Feldlager der vereinigten Falkensteiner Armee
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 10 Jan 2017, 16:30


Hermann hebt den ausgestreckten Zeigefinger vor die Lippen und schaut nach oben. Die Schritte, die vom Deck der bauchigen Kogge zu ihnen herunter hallen, kommen näher. Die anderen Männer im Boot sitzen regungslos, angespannt, nur Heinrich greift unter seinen Sitz, um langsam die Armbrust hervorzuholen. Dass jemand an Bord wach ist ist eine Komplikation, die sie nicht gebrauchen können. Es sind nur noch drei Stunden, bis zur nautischen Dämmerung und die Wolkendecke beginnt aufzureißen.

Die Schritte stoppen direkt am Rand des Decks und Herrmann hört leises Pfeifen von oben, Rascheln von Stoff und dann ein Plätschern neben ihm. Franz sieht ihn an und grinst und Herrmann muss sich das Lachen verkneifen. Ob der Mann auf dem Deck wohl ahnt, auf wen er gerade herunterpinkelt?

Das Plätschern verstummt, wieder raschelt Stoff, aber der Mann steht immer noch da oben, schaut hinaus in die Dunkelheit. Und in diesem Moment reißt die Wolkendecke auf, und der Mond strahlt silbrig auf das ruhige Wasser herab. Und von oben ertönt ein erschreckter Ruf.

Es ist eine dumme Idee, und war es von Anfang an, das glaubt Herrmann fest. Sie waren mit Lastkähnen den Sigmargraben herab gekommen, der Herr von Wolfsburg und ein paar wenige Männer, die sie noch hatten zusammenkratzen können. Als sie auf halbem Weg die Nachricht erreichte, dass die Darothssöhne bei Eichstätt geschlagen worden seien, dass der Krieg vorbei sei, dass sie eigentlich direkt nach Hause hätten zurück gehen können. Aber Wolfsburg hatte dem Jubel der Männer unbewegt zugesehen und als sie sich etwas beruhigt hatten, war er vor sie getreten und hatte ihnen erklärt, was die Wende bei Eichstätt bedeutete. Welche Gefahr darin lag, dass nahezu jeder waffenfähige Falkensteiner über die Kappelner Ebene zog, um einen Feind zu verfolgen, der eine Flotte vor der Küste stehen hat. Und sie hatten sich mit fiebrigem Eifer wieder auf den Weg gemacht.

Verflucht! Heinrich reißt die Armbrust hoch, zieht den Hebel, die metallenen Arme der Waffe schnalzen, der Bolzen fliegt. Einen Moment lang horchen sie auf das Einschlaggeräusch, den trockenen Schlag, aber er kommt nicht. Statt dessen wird an Deck gerufen, und eine Glocke geschlagen. Du räudiger Sohn einer billigen... Herrmann verkneift sich den Rest, fasst nach der kleinen Axt an seiner Seite und steigt die Leiter aus am Rumpf befestigten Holzbalken hinauf. Er schaut nach unten, sieben oder acht Sprossen unter dem Deck, sieht das kleine Beiboot unter sich auf den Wellen tanzen, das an der Seite der Karacke vertäut war.

Blanker Wahnsinn, das hatte er gedacht, als sie die beiden flachen Lastkähne von der Küste weg gerudert hatten. Es war zwei Stunden nach Sonnenuntergang. Sie hatten warten müssen, denn sie kamen von Westen heran, den noch hellen Nachthimmel hinter sich. Ob das vor der Steilküste einen Unterschied gemacht hätte, wußte keiner von ihnen, denn niemand kannte sich recht aus unter den Männern mit der Hochseeschifferei, aber es schien besser, kein Risiko einzugehen. Sie waren hinausgerudert, als die Silhouetten der Schiffe, die in Kiellinie vor der Küste lagen, gerade nicht mehr zu sehen waren. Tausend Dinge hätten schief gehen können. Die flachbodigen Lastkähne hätten kentern können, aber seltsamerweise gab es vor der Steilküste keine recht Brandung. Sie hätten an den beiden Schiffen am Ende der Formation vorbei fahren können, aber wie durch ein Wunder hielten beide Kähne direkt auf sie zu. Eine Wache hätte sie entdecken können, aber auf beiden Schiffen waren nur zwei Mann stationiert, allesamt geschlafen hatten. Beide Schiffe waren in ihre Hand geraten, schnell und lautlos. Sie hatten die Kähne gegen seetüchtige Beiboote getauscht und waren die Linie hochgerudert, um die nächsten Pötte einzunehmen, um schlafende oder unaufmerksame Wachen zu erschlagen. Nur einmal hatte einer von denen ernsthaft Widerstand geleistet, unter Deck, als Franz mit dem Fuß eine Kiste angestoßen und laut geflucht hatte. Aber gegen fünf Aarsblicker war auch das schnell entschieden gewesen. Und mit jedem Schiff, dass an die Aarsblicker fiel, mit jedem Mal, dass Herrmann eine Bordwand hochkletterte, wuchs sein Unbehagen, die Gewissheit, dass etwas schief gehen muß, dass es nicht alles so einfach sein konnte.

Hätte er doch mal besser an den Regenbogen gedacht, oder an die Schneeballschlacht, die sie sich vorgestern am Strand geliefert hatten, denn sein Gedanke wurde gerade Wirklichkeit. Er hat nur noch acht Sprossen bis nach oben, und der Mann, der ihnen gerade auf den Kopf gepinkelt hatte, stand nun wieder an der Reeling, einen Bogen in der Hand. Hermann spürt einen weiteren Fluch in ihm aufsteigen, und er nimmt Sprosse um Sprosse, so schnell er klettern kann. Über ihm richtet der Mann den Bogen, die Pfeilspitze zeigt nach unten, geradewegs auf Hermanns Gesicht. Der Darothssohn verzieht das Gesicht, reißt an der Sehne und stolpert mit einem Fluch zurück, als der nächste Bolzen aus Heinrichs Armbrust sein Gesicht streift. Der Pfeil löst sich, verschwindet unter ihnen in den eisigen Fluten des Meeres. Hermanns Arme brennen, seine Bein wollen ihn kaum tragen, noch vier Sprossen, noch drei, sein Kopf schaut aufs Deck, wo ein anderer Darothssohn gerade die Treppe vom Achterdeck herunterkommt, in der Hand einen Speer. Der andere Mann steht direkt neben der Reeling, beide Hände an seiner Schläfe, Blut quillt zwischen den Fingern hervor. Hermann zieht die Axt aus seinem Gürtel, hackt nach dem Fuß des Mannes. Die Klinge teilt Leder, Haut, Knochen, Holz und steckt im Deck, und der Mann fällt rückwärts um, umklammert jetzt die Ruine seines Fusses und schreit laut. Hermann nutzt den Augenblick der Ablenkung, um unter der Reeling hindurch auf das Hauptdeck zu krabbeln und er hat sich noch nicht ganz aufrichten können, als der zweite Darothssohn laut brüllend, den Speer gesenkt auf ihn zustürmt. Der verwundete Mann windet sich auf dem Deck, rollt sich dem Anstürmenden direkt in den Weg, der über ihn hinweg zu springen sucht, aber die Bewegung ist nicht flüssig und er ist jetzt in der Luft, kann seinen Kurs nicht mehr ändern. Hermann ist kein junger Mann mehr, und die Reflexe aus seiner Jugend, aus den Stunden und Stunden der Waffenübungen, sind stumpf geworden durch die Jahre, die Narben und das starke Bier. Aber noch ist er nicht ganz steif, nicht ganz fett. Er windet sich aus dem Weg, zumindest teilweise, und statt mittig in den Ranzen streift die Speerspitze seine Rippen, zieht eine Linie aus Feuer über seine Seite. Aber das ist in Ordnung, Hermann kennt solche Schmerzen, ist wohl vertraut mit einer weiten Auswahl. Seine Faust ist auf dem Weg nach vorn, bevor der Angreifer wieder auf dem Boden gelandet ist, eigentlich muss er nicht viel tun, nur hinhalten und der Mann springt aus vollem Lauf schon darauf. Hermann schlägt ihm nicht ins Gesicht, selbst ohne den ledernen Helm, den der Mann zu seinen weißen Roben und dem roten Mantel trägt, wäre das keine gute Idee. Aber der Magen ist ein großes Ziel und sehr empfindlich. Der Mann klappt halb zusammen, als ihn der Schlag trifft, macht ein hustendes, würgendes Geräusch und stolpert zur Seite, kämpft um sein Gleichgewicht, und Hermann hilft nach, indem er ihm herzhaft seitlich in die Rippen tritt. Der Darothssohn fällt, rollt über das Deck und Hermann beugt sich vor, packt den Griff seiner kleinen Axt, zieht kräftig. Der andere Mann ist immer noch mt seinem Fuß beschäftigt, der Speerträger richtet sich bereits wieder auf, heftig atmend und um Luft kämpfend. Hermann nickt anerkennend, der zweite ist ein zäher Hund, und das kann er respektieren. Er wartet, bis der Mann zu ihm hersieht, beugt sich dann wieder vor und versetzt dem Mann mit dem wehen Fuß einen kräftigen Hieb mit der Axt gegen den Schädel, was ihn augenblicklich verstummen lässt.
Der Speerträger schluckt und sieht auf seinen Kameraden herab, sieht Hermann an, der ihn unbewegt beobachtet. Früher, in seiner wilden Jugend, hätte Hermann etwas gesagt, hätte dem anderen mit harten Sprüchen seine empfundene Überlegenheit spüren lassen. Jetzt steht er nur da und schweigt, denn auch ohne markige Sprüche sind die Machtverhältnisse klar.

Der Speerträger holt tief Luft, fasst den Schaft seiner Waffe fester, schaut dann zur Seite, wo Franz seinen Kopf über das Deck gehoben hat. Hallo Freund. Erlaubnis an Bord zu kommen? Er nimmt die nächste Sprosse, sein Arm kommt in Sicht, er trägt ein langes Messer in der Hand.

Der Darothssohn schluckt wieder, seine Hände drehen sich um den Speerschaft. Jetzt ist der letzte gute Zeitpunkt, um Franz anzugreifen, aber dann würde er gegen Hermann die Deckung öffnen. Wartet er ab, steigt Franz an Deck, und die sie ihm nachfolgen, und sie werden ihn umzingeln. Er schaut von einem Aarsblicker zum anderen, die Speerspitze zittert leicht. Dann schließt er die Augen für einen Moment und spannt sich für den Sprung.


Die Ruder tauchen schnell ins Wasser, Zug um Zug durch die kalte, dunkle See. Jetzt ist Geschwindigkeit gefragt, statt Heimlichkeit. Hermann zieht an seinem Ruder, Franz vor ihm ist in einem etwas anderen Takt, denn keiner von ihnen ist Seemann und manche haben vor der heutigen Nacht noch nie auf einem Schiff gestanden. Es ist schon spät, das nautische Zwielicht hat begonnen und der Rumpf der Karacke ragt vor ihnen auf als schwarzer Schemen, umringt von dunkelblauem Himmel. Da sind Männer an Deck, diesmal erheblich mehr als nur zwei. Sie hören Rufe, dann das Surren von Bogensehnen. Es sind noch zweihundert Schritt. Zug, Zug, Zug, wieder eine Salve, aus dem Bein des Mannes neben Hermann ragt plötzlich ein Pfeil, er lässt das Ruder los, das sich mit dem seines Hintermannes verheddert und ihr Boot krängt sofort nach rechts. Hermann greift herüber, zieht das Ruder seines Nebenmannes ins Boot, der Mann drückt mit einer Hand auf die Wunde und schaut grimmig, während er sich Mühe gibt, nicht zu schreien. Sie richten das Boot neu aus, rudern weiter so schnell sie können. Vom anderen Beiboot kommt ein erstickter Schrei, ein Mann kippt vornüber und bleibt reglos sitzen, als hätte er nur den Kopf einen Moment auf der Schulter des Vordermannes ausgeruht. Es sind noch einhundert Schritt. Die Pfeile kommen jetzt nicht mehr in Salven, dafür aber dauernd, da oben müssen ein Dutzend Schützen an Bord sein. Hermann lacht grimmig, während neben ihm ein Pfeil in die Bordwand einschlägt und zitternd steckenbleibt. Vielleicht hätten sie auch die hier überwältigen können, statt dessen stürmen sie gegen eine befestigte Stellung an. Und das alles nur, weil ein Mann zur falschen Zeit pissen mußte.

Heinrich hat die Armbrust wieder geladen, er zielt, zielt, zielt, während die anderen verzweifelt rudern, um endlich die Seite des Schiffs zu erreichen. Dann drückt er ab und tatsächlich ertönt von oben ein Schrei, dann fällt ein dunkler Körper an der Bordwand herab und platscht ins Wasser. Das andere Boot ist vor ihnen da, Männer klettern übereinander, suchen nach Halt an der Seite des Schiffs. Jetzt werden Pfeile direkt von oben auf sie geschossen, ein Mann fällt zurück mit einem langen Schaft aus seinem Arm ragend, ein anderer, der gerade an der Bordwand hochklettern will, tritt zurück, dreht sich um, der Pfeil hat ihn geradewegs von oben in den Kopf getroffen, er hebt den Arm, als wollte er jemandem winken und kippt dann vornüber von Bord. Aber auch im anderen Boot sitzt ein Armbruster und oben hinter der Reeling gibt es keine Deckung. Ein Pfeil verfehlt den Mann nur knapp, der selbst die Waffe hebt, zielt, abdrückt.

Das zweite Boot stößt mit dem Bug gegen die Schiffswand, prallt zurück und droht, direkt wieder abzutreiben. Zwei Mann im Bug halten sich am Rumpf fest, um das Boot zu stabilisieren, und fangen sofort an, an der Bordwand hochzuklettern. Auf der anderen Seite ist der erste Mann fast oben, von der Reeling wird mit einem Speer nach ihm gestoßen, er hat ein Kurzschwert in der Hand und pariert einen Stoß, lenkt die Spitze beiseite, einen zweiten, dann wird der Mann mit dem Speer über ihm von einem Bolzen getroffen und fällt mit einem Schrei nach hinten. Nur einen Moment später fällt auch der Mann mit dem Kurzschwert, er stürzt direkt neben dem Boot ins eisige Wasser, treibt dort mit ausgebreiteten Armen und einem Pfeil in der Brust. Hermann dreht sich um, will Heinrich anweisen, direkt nach oben zu zielen, um den ersten beiden Kletterern Deckung zu geben, aber Heinrich ist nach vorn gesackt, als wäre der Mühe zu viel und er würde ein kurzes Schläfchen halten. Hermann verzieht das Gesicht, greift sich die Armbrust. Sie ist gespannt, aber es ist kein Bolzen aufgelegt. Neben Heinrich treibt aber einer in der Lache, die sich im Boden des Bootes gebildet hat durch Spritzwasser. Er greift danach, legt ihn auf, zielt. Oben steht ein Mann, den Bogen direkt auf ihn gerichtet. Hermann drückt den metallenen Hebel an der Unterseite der Waffe nach oben, der Bolzen löst sich, begegnet unterwegs dem Pfeil, den der Darothssohn abgeschossen hat. Der Mann oben auf dem Deck wird in den Arm getroffen und herumgerissen und dann schlägt etwas Hermann mit Wucht vor die Brust. Er senkt die Armbrust, will sehen, wo der Pfeil ihn getroffen hat, aber da ist nichts, kein hölzerner Schaft, der irgendwo aus ihm herausragt. Einen Moment lang ist Hermann verwirrt, er hat doch gefühlt, dass ihn etwas getroffen hat. Dann schaut er nach unten. Der Pfeil hat den Kopf der Armbrust genau mittig getroffen und ihm die Schulterstütze gegen das Brustbein gerammt, und dort steckt er noch. Er wirft die Waffe beiseite, die jetzt nutzlos ist und sieht sich um. Um beide Boote herum treiben jetzt Leichen im Wasser, auch Darothssöhne, aber hauptsächlich Aarsblicker. Oben an Deck wird gekämpft, zumindest ein Mann hat es also hinauf geschafft, andere hängen noch an der Bordwand. Auf der anderen Seite ist jetzt wieder Tumult an der Reeling, dort wird etwas gehoben, zwei Mann oder drei wuchten es über das hölzerne Geländer. Ein Fass. Hermann verflucht jetzt den Schützen oben an Deck, der die Armbrust ruiniert hat. Das Fass fällt, reißt einen Mann schreiend mit sich. Aber es wird durch den Zusammenstoß abgelenkt, platscht neben dem Boot ins Wasser. Dort versuchen Männer panisch, Halt an der Bordwand zu finden. Ein zweites Fass wird angehoben, schwebt einen Moment hoch über ihnen. Dann fällt es herab, schlägt in den Bug des Bootes ein, das aus dem Wasser gehoben wird, die drei Mann, die sich noch darin befindet, in die See schleudert oder wie im Fall eines Mannes, der zu weit vorn gehockt hatte, erst gegen die Schiffswand, von der er herabrutscht wie eine Puppe mit durchbrochenen Gliedern.

Einen Moment lang ist es still. Niemand rührt sich, außer den beiden Aarsblickern, die jetzt im kalten Wasser paddeln. Dann ruft oben jemand: Zurück! und plötzlich ist überall wieder Bewegung. Hermann tritt nach vorn im Boot, greift nach der Schiffswand, nach einem Holzstieg, der daran befestigt ist, zieht das Boot breitseits zum Schiffsrumpf. Drei, vier Männer klettern, fallen, springen herab, die beiden im Wasser versuchen, sie schwimmend zu erreichen. Einen ziehen sie aus den kalten Fluten, der andere treibt auf halbem Weg mit einem Pfeil im Rücken. Dann ist keiner mehr da, der noch versuchen würde, das Schiff zu stürmen. Sie stoßen sich ab, rudern wie sie können, weg, nur weg, warten auf den Pfeil, der sie nach vorn stößt, warten, aber keiner kommt. An Deck wird halbherzig Hurra gerufen. Und in all der Panik um ihn her wächst in Hermann die Gewißheit, was sie jetzt zu tun haben.


Er hat sich ein Stück Tauwerk um das Handgelenk geschlungen, das am Ende rot glimmt. Es ist eine ruckelige Fahrt, denn hinten am Lastkahn hängt das Beiboot an einem Seil, und auch wenn darin sechs Mann sitzen und mitrudern, sind sie nicht immer gleich schnell. Am Kahn ist das Segel gesetzt, der ablandige Morgenwind treibt es hinaus aufs Meer, wo die Wolken dicht am Horizont bereits in dunklem Orange leuchten. Hermann kann seine Finger nicht mehr spüren. Er ist harte Arbeit gewohnt, das bringt das Leben als Bauer auf den mageren Böden im Westen Falkensteins so mit sich, aber schon lange nicht mehr hat er eine solche Plackerei erlebt wie diese. Die Haut seiner Handfläche ist aufgescheuert, seine Arme brennen und noch immer blutet seine Wunde sachte vor sich hin. Aber dies ist der letzte Akt. Acht Schiffe haben sie gesichert. Die Karacke mit der feindlichen Besatzung liegt vor ihnen und wird bald heller strahlen als die Sonne. Noch zwei weitere Schiffe stehen in der Linie, aber das ist dann das Problem vom jemand anderem. Er schaut hinüber zu Franz, der die Krüge mit dem Öl hält. Gerade zieht er den Korken aus dem einen und übergießt damit das aufgestapelte Holz, das sie den ganzen Weg aus Aarsblick mitgeschleift haben. Ein Dutzend Krüge Öl sind tiefer im Holzstapel verborgen, damit sie sich nicht zu früh entzünden. Keiner von ihnen hat so etwas schonmal gemacht, wann genau ist der richtige Zeitpunkt? Hermann korrigiert den Kurs noch einmal, hält genau auf die Mitte des Schiffes zu. Der Kahn drängt nach links, ist das die Strömung, die ihn vom Kurs wegtreibt? Er weiß es nicht. Also lieber noch weiter nach rechts, aber jetzt fährt der Kahn geradeaus, würde so das Schiff verfehlen. Hermann tut der Rücken weh. Er schaut nach vorn, heute morgen ist der Himmel besonders prächtig. Geh. Ich mach das hier.

Franz schüttelt den Kopf. Bist du verrückt? Warum?

Jemand muss den Kurs halten. Wir dürfen nicht vorbeifahren. Er streckt die Hand aus, die Franz ergreift und drückt. Sie sehen sich an, aber es gibt keine Worte für diesen Moment. Und so legt sich Franz die Seilschlinge um, setzt sich halb auf die niedrige Reeling, zieht das Messer, durchschneidet das dünne Tau, dass das Beiboot am Kahn festhält und lässt sich vom Seil von Bord ziehen. Und sofort beschleunigt der Kahn und fängt an, auf den Wellen zu tanzen. Hermann fasst das Ruder mit beiden Händen, kämpft gegen die Bewegungen des Kahns an, der mal nach rechts will, mal nach links. Und dann fällt ihm der wichtigste Teil ein. Er nestelt sich das Seilstück vom Handgelenk, will es schon werfen, als der Kahn einen Satz macht und er auf dem Deck stolpert, so dass er erstmal mit dem Ruder ringen muss, beinahe hätte er den Stapel brennbaren Materials verfehlt. Das glimmende Tau trifft auf ölgetränktes Holz und fast augenblicklich lodern die Flammen übermannshoch. Hermann tritt etwas zurück, hebt einen Arm vors Gesicht, um sich vor der Hitze der Flammen zu schützen. Durch den Fahrtwind wird die Flamme nach hinten gelenkt, leckt am Segel, das sich am Rand langsam dunkel färbt, dann läuft die Flamme wie eine Welle über das Leintuch. Aber das macht nichts mehr, der Kahn hat genug Schwung und es ist nicht mehr weit. Hermann kann die erschreckten Rufe vom Schiff hören, das Entsetzen der Männer, die hilflos dastehen, während eine gewaltige Fackel geradewegs auf sie zu fährt. Immer noch tanzt der Kahn, der für die offene See nicht gemacht ist. Es sind noch fünf Atemzüge bis zum Zusammenstoß.

Es ist nicht schade um ihn. Hier wird ihn niemand betrauern. Keine Familie mehr, seine Frau hat ihn vor langer Zeit verlassen, weil er mit dem Krieg verheiratet war und erst danach mit ihr. Ihre überlebenden Kinder haben längst eigene Familien und von denen hat keiner die lange Fahrt nach Falkenstein gemacht, nicht dass sie ihn vorher sonderlich gemocht hätten. Er blieb immer für sich, die einzigen, die sagen können, dass sie viel mit ihm geredet hätten sind die Kerle aus der Schenke, die er gelegentlich aufgesucht hat, wenn die Stimmen in seinem Kopf wieder zu laut wurden. Drei Atemzüge. Zwei.
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 10 Jan 2017, 16:31


Er schaut sich um, ein letzter Blick hinaus in die Welt, die Gischt auf den Wellen, eine Möve, die sich unbeirrt gegen den Wind stemmt, über ihm der Himmel in prachtvollen Farben. Und dann packt ihn eine gewaltige Hand und wirft ihn nach vorn. Der Bug des Kahns wird beim Zusammenprall zerdrückt, das brennende Holz von der Wucht gegen den Rumpf der Karacke geschleudert. Die Krüge mit Öl bersten beim Aufprall und selbst die Männer im Beiboot fühlen die Wucht und die Hitze der Explosion, die den Kahn vollkommen zerreißt, das Schiff erbeben lässt, mehr als nur einen Darothssohn vom Deck hinaus ins kalte Wasser fegt und die dem Land zugewandte Seite des Schiffs bis hinauf zum Mastkorb in dichte Flammen hüllt.

Franz treibt auf den Rücken, er kann sich nicht abwenden, auch wenn ihm die Glieder schwer werden im eisigen Wasser, er schaut hinaus auf den gewaltigen Scheiterhaufen, den sie dort hinten entfacht haben. Die Männer aus dem Beiboot, Karl und Heinz und Wolfram, sie ziehen ihn an der Leine heran, heben ihn ins Boot. Er war nicht lang im Wasser, und wird sich erholen, wenn er bald vor ein Feuer kommt. Aber sie zögern, schauen hinaus auf das brennende Schiff, wo gerade der Hauptmast umstürzt, brennende Taue mit lautem Knall zerreißend. Sie alle fühlen das Gewicht, das auf ihnen lastet. Die leeren Plätze auf den Bänken. Das Grauen des verlorenen Kampfes, der hinter ihnen liegt. Und wie weit sie haben gehen müssen, um doch zu gewinnen.

Und im Schein der Morgensonne sehen sie Masten über der Landzunge im Norden, Schiffe, die in die Bucht hereinfahren. Schiffe mit blau-gelben Bannern.
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Antworten