Der Winter ist hart in der Nordmark...

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Tankred
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Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 25 Nov 2010, 13:06


... und da es früh dunkelt, finden sich in dem kleinen Weiler Beorsing alle Bewohner in der warmen Halle des Vorstehers Ulfgar ein um bei Brot und Trank den Geschichten der alten Nana zu lauschen.
Wie jeden Abend sitzt sie still neben dem großen Feuer um sich rum die Kinder und älteren Bewohner des Weilers. Und dann schließlich, wenn sie genug von dem ganzen Trubel hat, erzählt sie eine Geschichte nach welcher alle sich in ihre Lager begeben.
So war es schon immer, selbst die Greisesten erinnern sich daran, wie sie selber als Kinder vor der alten Nana saßen und auf ihre Geschichte warteten. Schon damals war sie alt. Die Haut gelb und durchsichtig wie altes Pergament. Die Augen fast vollständig unter Falten verborgen, Das Haar schloweiß und dünn. Die Glieder dürr und gebrechlich. Die Haut wie Wachs über die Knochen gezogen, als hätte alle Körperflüssigkeit sie verlassen. Älter als der Wald schien sie zu sein. Ein Wesen aus einer Zeit, als die Berge noch jung waren.
Und wie kam auch ich in den Vorzug ihrer Geschichten?
Nun, man nennt mich Ingbert, Sohn des Gerion aus Ruanon. Eigentlich wollte ich mit meinem Packpferd wertvolle Waren von Ruanon nach Eschwald bringen, aber zuerst fiel der Schnee auf die Wege und dann Wölfe über mich und mein Packpferd her.

Die Bestien hetzten mich tief in den Bärenwald hinein und ich dachte schon, dass sie mich verschlingen würden, aber dann plötzlich trat ich auf eine Lichtung, auf der dieser Weiler hier liegt und heulend ließen die Wölfe von mir ab.
Der Vorsteher Ulfgar nahm mich gastfreundlich auf und platzierte mich mit einem heißen Met neben das Feuer. So konnte ich aus nächster Nähe der Geschichten lauschen und da ich noch Tinte und Feder sowie ein wenig Papyrus zur Hand hatte, schrieb ich diese direkt mit.

An diesem ersten Abend war noch alles neu für mich. Gerade hatte ich mich vorsichtig auf Zutun Ulfgars neben dieser Gestalt niedergelassen. Ein wenig unheimlich war mir die Situation schon. Alle Bewohner brabbelten untereinander, nur diese Alte schwieg.
Endlich quengelten die Kinder durchgängig: "Nana, erzähl uns die Geschichte!"
Und mit einem tiefen Seufzer hob diese alte vertrocknete Frau ihr Haupt, sah alle der Reihe nach mit ihren durch das Alter getrübten milchigweißen Augen an, beinahe wäre ich vom Schemel gefallen, als sie mich durchdringend fixierte, und hob an zu sprechen:


"Die Geschichte von Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein
Es war eine Frau, die hatte drei Töchter, davon hieß die älteste Einäuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste Zweiäuglein, weil sie zwei Augen hatte wie andere Menschen, und die jüngste Dreiäuglein, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirn. Darum aber, daß Zweiäuglein nicht anders aussah als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden. Sie sprachen zu ihm: "Du mit deinen zwei Augen bist nicht besser als das gemeine Volk, du gehörst nicht zu uns." Sie stießen es herum und warfen ihm schlechte Kleider hin und gaben ihm nicht mehr zu essen, als was sie übrig ließen, und taten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.

Es trug sich zu, daß Zweiäuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege hüten mußte, aber noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain und fing an zu weinen und so zu weinen, daß zwei Bächlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es in seinem Jammer einmal aufblickte, stand eine Frau neben ihm, die fragte: ,,Zweiäuglein, was weinst du?" Zweiäuglein antwortete: ,,Soll ich nicht weinen? Weil ich zwei Augen habe wie andere Menschen, können mich meine Schwestern und meine Mutter nicht leiden, stoßen mich aus einer Ecke in die andere, werfen mir alte Kleider hin und geben mir nichts zu essen, als was sie übriglassen. Heute haben sie mir so wenig gegeben, daß ich noch ganz hungrig bin." Sprach die weise Frau: ,,Zweiäuglein, trockne dir dein Angesicht, ich will dir etwas sagen, daß du nicht mehr hungern sollst. Sprich nur zu deiner Ziege:


,Zicklein, meck,

Tischlein, deck',


so wird ein sauber gedecktes Tischlein vor dir stehen und das schönste Essen darauf, daß du essen kannst, soviel du Lust hast. Und wenn du satt bist und das Tischlein nicht mehr brauchst, so sprich nur:


,Zicklein, meck,

Tischlein, weg',


so wird's vor deinen Augen verschwinden." Darauf ging die weise Frau fort. Zweiäuglein aber dachte: ,,Ich muß gleich einmal versuchen, ob es wahr ist, was sie gesagt hat, denn mich hungert gar zu sehr", und sprach:


,,Zicklein, meck,

Tischlein, deck",


und kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, so stand da ein Tischlein mit einem weißen Tüchlein gedeckt, darauf ein Teller mit Messer und Gabel und silbernem Löffel, die schönsten Speisen standen rundherum, rauchten und waren noch warm, als wären sie eben aus der Küche gekommen. Da sagte Zweiäuglein das kürzeste Gebet her, das es wußte: ,,Herr Gott, sei unser Gast zu aller Zeit, Amen", langte zu und ließ sich's wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau gelehrt hatte:


,,Zicklein, meck,

Tischlein, weg.


Alsbald war das Tischlein und alles, was darauf stand, wieder verschwunden. "Das ist ein schöner Haushalt", dachte Zweiäuglein und war ganz vergnügt und guter Dinge.

Abends als es mit seiner Ziege heimkam, fand es ein irdenes Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht; wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen: "Es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde; das muß andere Wege gefunden haben." Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten, was es da vorhätte, und ob ihm jemand etwas Essen und Trinken brächte.

Als sich nun Zweiäuglein wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach: ,,Ich will mit ins Feld und sehen, daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird." Aber Zweiäuglein merkte, was Einäuglein im Sinne hatte, und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras und sprach: ,,Komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen." Einäuglein setzte sich hin und war von dem ungewohnten Weg und von der Sonnenhitze müde, und Zweiäuglein sang immer:


"Einäuglein, wachst du?

Einäuglein, schläfst du?"


Da tat Einäuglein das eine Auge zu und schlief ein. Und als Zweiäuglein sah, daß Einäuglein fest schlief und nichts verraten konnte, sprach es:


,,Zicklein, meck,

Tischlein, deck",


und setzte sich an sein Tischlein und aß und trank, bis es satt war, dann rief es wieder:


Zicklein, meck,

Tischlein, weg",


und alles war augenblicklich verschwunden. Zweiäuglein weckte nun Einäuglein und sprach: "Einäuglein, du willst hüten und schläfts dabei ein, derweil hätte die Ziege in alle Welt laufen können; komm, wir wollen nach Hause gehen." Da gingen sie nach Hause und Zweiäuglein ließ wieder sein Schüsselchen unangerührt stehen, und Einäuglein konnte der Mutter nicht verraten, warum es nicht essen wollte, und sagte zu seiner Entschuldigung: ,,Ich war draußen eingeschlafen."

Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiäuglein: "Diesmal sollst du mitgehen und achthaben, ob Zweiäuglein draußen ißt und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es heimlich." Da trat Dreiäuglein zum Zweiäuglein und sprach: "Ich will mitgehen und sehen, ob auch die Ziege recht gehütet und ins Futter getrieben wird." Aber Zweiäuglein merkte, was Dreiäuglein im Sinne hatte, und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras und sprach: ,,Wir wollen uns dahin setzen, Dreiäuglein' ich will dir was vorsingen." Dreiäuglein setzte sich und war müde von dem Weg und der Sonnenhitze, und Zweiäuglein hob wieder das vorige Liedlein an und sang: "Dreiäuglein, wachst du?" Aber, statt daß es nun singen mußte: "Dreiäuglein, schläfst du?" sang es aus Unbedachtsamkeit: ,,Zweiäuglein, schläfst du?" und sang immer:


"Dreiäuglein, wachst du?

Zweiäuglein, schläfst du?"


Da fielen dem Dreiäuglein seine zwei Augen zu und schliefen, aber das dritte, weil es von dem Sprüchlein nicht angeredet war, schlief nicht ein. Zwar tat es Dreiäuglein zu, aber nur aus List, gleich als schliefe es auch damit, doch blinzelte es und konnte alles gar wohl sehen. Und als Zweiäuglein meinte, Dreiäuglein schliefe fest, sagte es sein Sprüchlein:


,,Zicklein, meck,

Tischlein, deck",


aß und trank nach Herzenslust und hieß dann das Tischlein wieder fortgehen:


,,Zicklein, meck,

Tischlein, weg",


und Dreiäuglein hatte alles mit angesehen. Da kam Zweiäuglein zu ihm, weckte es und sprach: ,,Ei, Dreiäuglein, bist du eingeschlafen? Du kannst gut hüten! Komm, wir wollen heimgehen." Und als sie nach Hause kamen, aß Zweiäuglein wieder nicht, und Dreiäuglein sprach zur Mutter: ,,Ich weiß nun, warum das hochmütige Ding nicht ißt. Wenn sie draußen zur Ziege spricht:


,Zicklein, meck,

Tischlein, deck',


so steht ein Tischlein vor ihr, das ist mit dem besten Essen besetzt, viel besser, als wir's hier haben; und wenn sie satt ist, so spricht sie:


,Zicklein, meck,

Tischlein, weg',


und alles ist wieder verschwunden. Ich habe alles genau mit angesehen. Zwei Augen hatte sie mir mit einem Sprüchlein eingeschläfert, aber das eine auf der Stirn, das war zum Glück wachgeblieben." Da rief die neidische Mutter: ,,Willst du's besser haben als wir? Die Lust soll dir vergehen!" Sie holte ein Schlachtmesser und stieß es der Ziege ins Herz, daß sie tot hinfiel.

Als Zweiäuglein das sah, ging es voll Trauer hinaus, setzte sich auf den Feldrain und weinte seine bitteren Tränen. Da stand auf einmal die weise Frau wieder neben ihm und sprach: "Zweiäuglein, was weinst du?" - "Soll ich nicht weinen?" antwortete es. "Die Ziege, die mir jeden Tag, wenn ich Euer Spruchlein hersagte, den Tisch so schön deckte, ist von meiner Mutter totgestochen; nun muß ich wieder Hunger und Kummer leiden." Die weise Frau sprach: "Zweiäuglein, ich will dir einen guten Rat erteilen, bitt' deine Schwestern, daß sie dir das Eingeweide von der geschlachteten Ziege geben und vergrab es vor der Haustür in die Erde, so wird's dein Glück sein." Da verschwand sie, und Zweiäuglein ging heim und sprach zu den Schwestern: "Liebe Schwestern, gebt mir doch etwas von meiner Ziege, ich verlange nichts Gutes, gebt mir nur das Eingeweide." Da lachten sie und sprachen: ,,Kannst du haben, wenn du weiter nichts willst." Und Zweiäuglein nahm das Eingeweide und vergrub's abends in aller Stille nach dem Rate der weisen Frau vor der Haustür.

Am andern Morgen, als sie insgesamt erwachten und vor die Haustür traten, stand da ein wunderbarer, prächtiger Baum, der hatte Blätter von Silber, und Früchte von Gold hingen dazwischen, daß wohl nichts Schöneres und Köstlicheres auf der weiten Welt war. Sie wußten aber nicht, wie der Baum in der Nacht dahingekommen war, nur Zweiäuglein merkte, daß er aus dem Eingeweide der Ziege aufgewachsen war, denn er stand gerade da, wo sie es in die Erde begraben hatte. Da sprach die Mutter zu Einäuglein: ,,Steig hinauf, mein Kind, und brich uns die Früchte von dem Baume ab." Einäuglein stieg hinauf, aber wie es einen von den goldenen äpfeln greifen wollte, fuhr ihm der Zweig aus den Händen; und das geschah jedesmal, so daß es keinen einzigen Apfel brechen konnte, es mochte sich anstellen, wie es wollte. Da sprach die Mutter: "Dreiäuglein' steig du hinauf, du kannst mit deinen drei Augen besser um dich schauen als Einäuglein." Einäuglein rutschte herunter, und Dreiäuglein stieg hinauf. Aber Dreiäuglein war nicht geschickter und mochte schauen, wie es wollte, die goldenen äpfel wichen immer zurück. Endlich war die Mutter ungeduldig und stieg selbst hinauf, konnte aber so wenig wie Einäuglein und Dreiäuglein die Frucht fassen und griff immer in die leere Luft. Da sprach Zweiäuglein: ,,Ich will mich einmal hinaufmachen, vielleicht gelingt mir's eher." Die Schwestern riefen zwar: "Du mit deinen zwei Augen, was willst du wohl!" Aber Zweiäuglein stieg hinauf, und die goldenen äpfel zogen sich nicht vor ihm zurück, sondern ließen sich von selbst in seine Hand herab, also daß es einen nach dem andern abpflücken konnte und ein ganzes Schürzchen voll mit herunterbrachte. Die Mutter nahm sie ihm ab, und statt daß sie, Einäuglein und Dreiäuglein, dafür das arme Zweiäuglein hätten besser behandeln sollen, wurden sie nur neidisch, daß es allein die Früchte holen konnte, und gingen noch härter mit ihm um.

Es trug sich zu, als sie einmal beisammen an dem Baume standen, daß ein junger Ritter daherkam. ,,Geschwind, Zweiäuglein", riefen die zwei Schwestern, ,,kriech unter, daß wir uns deiner nicht schämen müssen", und stürzten über das arme Zweiäuglein in aller Eile ein leeres Faß, das gerade neben dem Baume stand, und schoben die goldenen äpfel, die es abgebrochen hatte, auch darunter. Als nun der Ritter näherkam, war es ein schöner Herr; der hielt still, bewunderte den prächtigen Baum von Gold und Silber und sprach zu den beiden Schwestern: ,,Wem gehört dieser schöne Baum? Wer mir einen Zweig davon gäbe, könnte dafür verlangen, was er wollte." Da antworteten Einäuglein und Dreiäuglein, der Baum gehörte ihnen zu, und sie wollten ihm einen Zweig wohl abbrechen. Sie gaben sich auch beide große Mühe; aber sie waren dazu nicht imstande, denn die Zweige und Früchte wichen jedesmal vor ihnen zurück. Da sprach der Ritter: "Das ist ja wunderlich, daß der Baum euch zugehört und ihr doch nicht Macht habt, etwas davon abzubrechen." Sie blieben dabei, der Baum wäre ihr Eigentum.

Während sie aber so sprachen, rollte Zweiäuglein unter dem Fasse ein paar goldene äpfel heraus, so daß sie zu den Füßen des Ritters liefen; denn Zweiäuglein war böse, daß Einäuglein und Dreiäuglein nicht die Wahrheit sagten. Wie der Ritter die äpfel sah, erstaunte er und fragte, wo sie herkämen. Einäuglein und Dreiäuglein antworteten, sie hätten noch eine Schwester; die dürfte sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen hätte wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber verlangte sie zu sehen und rief: "Zweiäuglein' komm hervor!" Da kam Zweiäuglein ganz getrost unter dem Fasse hervor, und der Ritter war verwundert über seine große Schönheit und sprach: "Du, Zweiäuglein' kannst mir gewiß einen Zweig von dem Baum abbrechen." - "Ja", antwortete Zweiäuglein' "das will ich wohl können, denn der Baum gehört mir." Und stieg hinauf und brach mit leichter Mühe einen Zweig mit feinen silbernen Blättern und goldenen Früchten ab und reichte ihn dem Ritter hin. Da sprach der Ritter: "Zweiäuglein' was soll ich dafür geben?" - "Ach", antwortete Zweiäuglein, "ich leide Hunger und Durst, Kummer und Not vom frühen Morgen bis zum späten Abend; wenn Ihr mich mitnehmen und erlösen wollt, so wäre ich glücklich." Da hob der Ritter das Zweiäuglein auf sein Pferd und brachte es heim auf sein väterliches Schloß. Dort gab er ihm schöne Kleider, Essen und Trinken nach Herzenslust, und weil er es so liebhatte, ließ er sich mit ihm einsegnen, und die Hochzeit war in großer Freude gehalten.

Wie nun Zweiäuglein so von dem schönen Rittersrnann fortgeführt ward, da beneideten ihm die zwei Schwestern erst recht sein Glück. "Der wunderbare Baum bleibt doch uns", dachten sie; "können wir auch keine Früchte davon brechen, so wird doch jedermann davor stehenbleiben, zu uns kommen und ihn rühmen. Wer weiß, wo unser Weizen noch blüht!" Aber am andern Morgen war ihr Baum verschwunden und ihre Hoffnung dahin. Und wie Zweiäuglein zu seinem Kämmerlein hinaussah, stand er zu seiner großen Freude davor und war ihm also nachgefolgt.

Zweiäuglein lebte lange Zeit vergnügt. Einmal kamen zwei arme Frauen zu ihm auf das Schloß und baten um ein Almosen. Da sah ihnen Zweiäuglein ins Gesicht und erkannte ihre Schwestern Einäuglem und Dreiäuglein, die so in Armut geraten waren, daß sie umherziehen und vor den Türen ihr Brot suchen mußten. Zweiäuglein aber hieß sie willkommen und tat ihnen Gutes und pflegte sie, also daß die beiden von Herzen bereuten, was sie ihrer Schwester in der Jugend Böses angetan hatten."

Und dort, wo Zweiäuglein damals weinte, entspringt jetzt der Quell der Lieht und fließt weiter in den alten Stirnazsee. So endete die erste Geschichte der alten Nana und alle Einwohner Beorsings krochen in ihre Lager.

Mir allerdings wurde ein Strohlager an einer Wand der Halle angeboten. Und kaum lag ich da, schlief ich tief und fest und es träumte mir von einem hellen Engel, der über diesen Ort wacht. Ohne einmal aufzuwachen, schlief ich endlich bis zum ersten düsteren Morgengrauen, bis mich das Geklapper von der Herdstelle weckte.
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Tankred
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 26 Nov 2010, 17:51


Sorgenvoll schaute mich Ulfgar an, als er mich nach draußen führte. Neuschnee war in der Nacht gefallen. Sicherlich zwei Fuß hoch. An eine Fortsetzung meiner Reise war nicht zu denken. Auch gedenk daran, dass direkt in der Nähe des Weilers frische Wolfsfährten gefunden wurden.

So wurde ich eingeladen, erst einmal in Beorsing zu verweilen, bis der Schnee festgefroren, oder aber abgetaut wäre. Denn solche Massen an Neuschnee zu dieser Zeit hatte es seit langem nicht mehr gegeben.

So blieb ich also den zweiten Tag in Beorsing und verbrachte meine Zeit damit, mich mit den Bewohnern bekannt zu machen. Pünktlich zur frühen Dämmerung strömten alle wieder in Ulfgars Halle, wo die alte Nana saß.
Diesmal setzte ich mich doch mutiger neben sie und wartete mit einem guten Bier in der Hand auf ihre Geschichte.
Ungewohnt plötzlich hob sie mit greller zitternder Stimme an und alle anderen verstummten:


Die Leichenfresserin

Ein König östlich von hier vor langer Zeit hatte eine wunderschöne Tochter, die sprach zu ihm: "Vater, wenn ich zwanzig Jahr alt bin, so sterbe ich, dann will ich hinausgetragen sein in die alte Höhle vor der Stadt; da sollt ihr mich in meinem Sarge hineinstellen und jede Nacht eine Schildwache dabei."
Wie sie gesagt, so geschah's: sie starb auf ihren zwanzigsten Geburtstag und der König ließ ihren Willen tun. Sie ward in ihrem Sarge hinausgetragen in das Kapellchen und vor den Altar gestellt, und als es Nacht wurde, musste eine Schildwache dabei bleiben. Als aber des andern Morgens der Soldat abgelöst werden sollte, lag er da und war ihm das Genick gebrochen. Ebenso ging es mit der zweiten Schildwache und mit der dritten, und zum vierten Male wollte es Niemand probieren, ob der König gleich eine große Belohnung darauf setzte. Damals war aber gerade am Hofe ein fremder Schneidergeselle aus dem Süden. Er war auf seiner Wanderschaft dahin gekommen, und weil er so gut arbeitete, ließ ihn der König nicht mehr fort, ob er gleich gar dringend darum bat, weil er das Heimweh hatte.
Der machte nun einen Anschlag, wie er sich auf gute Art aus dem Staube machen möchte und als er glaubte es würde so gelingen, trat er vor den König und sprach: "Herr König, wollt ihr mir diesen Abend ein Schwert, einen Bogen und einen Speer geben lassen, so will ich hinausgehen und bei der Prinzessin Schildwache stehen." Darob lobte ihn der König sehr und ließ ihm das Verlangte geben.
Der Schneider ging damit ganz keck über die Straße und zum Tor hinaus; als er aber draus war, dachte er mit keinem Gedanken mehr an die Prinzessin, sondern machte rechts um und lief fort, was er laufen konnte. Da hörte er sich auf einmal bei Namen rufen, er hielt an und sah sich um, da stand ein klein alt Männlein vor ihm und sprach, er solle doch kein Narr sein und fortlaufen, er gehe ja seinem eignen Glücke durch.
Wie er das meine? fragte der Schneider. "Ei," sagte das Männchen, "wenn du gescheit bist, so gehst du zurück und bleibst heute Nacht in der Höhle, ich will dir sagen, wie du es anfangen musst, dass du die Prinzessin erlösest und König wirst." Der Schneider wollte Anfangs Nichts davon wissen, doch endlich ließ er sich einreden und fragte, wie er sich dazu anstellen müsse, dass ihm nicht auch das Genick gebrochen würde? Da sagte das Männchen, er solle nur in die vordere Kammer der Höhle gehen, darin läge eine Reihe von Leichen und mitten darin sei noch ein Platz frei, da solle er sich hineinlegen und sich durch Nichts irre machen lassen, was auch geschehen möchte.

Dem Schneider steckte nun das Königwerden so im Kopf, dass er richtig umkehrte in die Höhle und sich mitten zwischen die Toten in der Leichenkammer hinlegte. Eine Stunde vor Mitternacht sprang der Sarg auf, die Königstochter stieg heraus, kam in die Vorkammer und fing an, die Leichen zu zerreisen und zu fressen. Der Schneider war mehr tot als lebendig, indem er ihr so zusah, wie sie dem einen Toten ein Bein abfraß und dem andern einen Arm und die Stücke in der Kammer herumwarf. Als es aber Mitternacht war, stieg die Prinzessin wieder in den Sarg, der Deckel klappte über ihr zu und Alles war vorbei. Der Schneider stieg jetzt auf und stellte sich auf seinen Posten neben den Sarg. Des andern Morgens in aller Frühe kam der König mit dem ganzen Hofstaat herausgefahren, freute sich gar sehr, dass der Schneider noch lebte und nahm ihn mit nach Haus. In die Höhle aber, ließ er das allerbeste Essen aus der Schlossküche und ein ganzes Fass voll Bier bringen, damit der Schneider in der folgenden Nacht sich daran stärken könne.
Dem wurde es aber doch ganz bang zu Mute, als es dunkel wurde und er wieder hinaus musste. Wenn du diesmal hingehst, frisst sie dich gewiss! dachte er, als er vor dem Tor draus war und machte rechtsrum und lief fort, diesmal aber einen ganz andern Weg, damit ihm das Männchen nicht begegnen sollte. Wer ihm aber doch begegnete, das war das Männchen. "He! guter Freund!" rief es ihm auf einmal zu, "wo hinaus so eilig?"
Da sprach der Schneider, diesmal gehe er nicht mehr hin, und wenn er hundertmal König werden und hundert Prinzessinnen heiraten sollte. Das Männchen sprach ihm aber gar freundlich zu, er habe jetzt die Hälfte schon vollbracht und brauche nur noch die eine Stunde auszuhalten, er wolle ihm ja sagen, wie er sich anstellen müsse, damit ihm an Leib und Leben Nichts geschehen könne. Der Schneider dachte, es wäre doch immerhin schön, wenn er schon den andern Tag Hochzeit halten könnte und ließ sich zum zweiten Male bereden. Das Männchen sprach jetzt, er solle getrost wieder hingehen und sich zwischen die Toten legen, wenn aber die Prinzessin wieder da sei und so recht gierig an einer Leiche fresse, so solle er hinter ihr vorüberschleichen, bis vor den Altar und statt ihrer in den Sarg steigen.
Und so tat er's. EIne Stunde vor Mitternacht kam die Königstochter wieder und machte sich über die Leichen her wie ein Wolf, riss eine nach der andern von einander, warf die Gebeine in der ganzen Kirche herum und schrie dabei in einem fort: "Ich krieg dich doch, du magst stecken, wo du willst."
Endlich aber blieb sie bei einer Leiche sitzen und fraß und fraß, als wenn es der beste Braten gewesen wäre. Da stand der Schneider leise auf, schlich an ihr vorbei, bis vor den Altar und legte sich in den Sarg. Mit dMitternacht kam die Prinzessin und wollte hineinsteigen. Als sie aber den Schneider sah, fing sie an ser zu klagen und zu bitten, es sei ja ihr Bett, er solle doch herausgehen und sie hineinlassen, dass sie schlafen könne. Als das nichts half, fing sie an aufs Fürchterliche zu toben, als wenn sie ihn auf der Stelle umbringen wollte; er blieb aber ruhig liegen und sie konnte ihn nicht anrühren. Mit dem Schlage Eins stürzte die Prinzessin zusammen und blieb auf dem Boden liegen und schlief. Der Schneider stand auf und sprach: "Du hast gut geschlafen, denn du hast dich sattgefressen, ich habe aber seit gestern Mittag noch Nichts in den Leib bekommen!" Und somit machte er sich über das Essen und den Wein her und ruhte nicht eher, als bis er auch auf den Boden fiel und schlief wie ein Sack. Des anderen Morgens kam der König mit dem Hofstaat herein, da lagen sie alle zwei auf der Erde, das Eine da und das Andere dort und schliefen als sollten sie nicht wieder aufstehen.
Als nun Hochzeit gehalten war, und der Schneider zum ersten Mal bei der Prinzessin lag, da fürchtete er sich so vor ihr, dass er aus dem Bett springen wollte, wenn sie nur einen Finger bewegte. "Ei du Narr," sprach sie, "bleib nur, ich tue dir ja Nichts, ich hab auch die Leichen nicht gefressen, es musste dir nur so vorkommen." Da fürchtete sich der Schneider nicht länger und gab ihr einen herzhaften Kuss. Sie lebten lang und glücklich beisammen und bekamen viele schöne Kinder.

So endete Nana ihre Geschichte und scheuchte wieder alle fort in ihre Schlafstätten.
Ich hatte mich auch gerade niederlegen wollen, da spürte ich eine verdorrte Hand auf meiner Schulter und die krächzende Stimme Nanas leise in meinem Ohr: "Natürlich fraß sie ihn. Und gemeinsam fraßen sie den gesamten Hofstaat. Ich war dort."

Ich drehte mich schleunigst um, aber niemand stand hinter mir. Auf ihrem Schemel saß weiter Nana und starrte mich mit milchigem Blick an.

Diese Nacht schlief ich nicht so ruhig wie noch zuvor.
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 27 Nov 2010, 16:50


Ich erwachte am nächsten Morgen dadurch, dass eine Hand mich rüttelte.
"Du hast geschrieen Herr," sagte Ingard, die Tochter Ufgars.
Ich setzte mich auf und mit einem Schütteln verloren sich Traumbilder menschenfressender Horden im Grau des Tages.

Natürlich hatte es noch nicht getaut. Nach einer kurzen Unterredung mit Ulfgar, der mir versicherte, dass meine längere Anwesenheit sie alle nicht in Schwierigkeiten bringen würde, suchte ich mir etwas zu tun, um wenigstens nicht vollkommen nutzlos zu sein.

Während ich Holz hackte, besuchten mich immer wieder verschiedene Bewohner. Sie fragten mich aus über die Stadt Ruanon und über den neuen Herrn der Nordmark. Neue Kunde schienen sie hier nicht häufig zu bekommen.
Und langsam wurden auch für mich die leeren austauschbaren Gesichter der Fremden zu zuordnungsbaren Einwohnern.
Wie so häufig, passierte nichts Besonderes den Tag über. Man geht seinem Tagwerk nach, bis die verschwindende Sonne dieses unmöglich macht.

Ich erinner mich nur noch, dass Ulfgar am Rand des Walders kurz zur Mittagszeit mit zwei fellbedeckten Gestalten wild gestikulierend verhandelte. Als ich näher trat, wandten sich beide ab und verschwanden wieder im Wald. "Fallensteller und Pelzjäger" sagte er mir, meinen fragenden Blick deutend. "Aber wir haben nichts zum Tauschen."

Endlich, als die Nacht heranbrach, kam es zum üblichen Ritual. Alles Volk saß in der Halle zusammen und wartete darauf, dass die schweigsame Nana zu Sprechen anhob:


Die Nixe im Teich
Es war einmal ein Müller, der führte mit seiner Frau ein vergnügtes Leben. Sie hatten Geld und Gut, und ihr Wohlstand nahm von Jahr zu Jahr noch zu. Aber Unglück kommt über Nacht: wie ihr Reichtum gewachsen war, so schwand er von Jahr zu Jahr wieder hin, und zuletzt konnte der Müller kaum noch die Mühle, in der er saß, sein Eigentum nennen. Er war voll Kummer, und wenn er sich nach der Arbeit des Tages niederlegte, so fand er keine Ruhe, sondern wälzte sich voll Sorgen in seinem Bett.
Eines Morgens stand er schon vor Tagesanbruch auf, ging hinaus ins Freie und dachte, es sollte ihm leichter ums Herz werden. Als er über dem Mühldamm dahinschritt, brach eben der erste Sonnenstrahl hervor, und er hörte in dem Weiher etwas rauschen. Er wendete sich um und erblickte ein schönes Weib, das sich langsam aus dem Wasser erhob. Ihre langen Haare, die sie über den Schultern mit ihren zarten Händen gefasst hatte, flossen an beiden Seiten herab und bedeckten ihren weißen Leib. Er sah wohl, dass es die Nixe des Teichs war, und wusste vor Furcht nicht, ob er davongehen oder stehen bleiben sollte. Aber die Nixe ließ ihre sanfte Stimme hören, nannte ihn beim Namen und fragte, warum er so traurig wäre. Der Müller war anfangs verstummt, als er sie aber so freundlich sprechen hörte, fasste er sich ein Herz und erzählte ihr, dass er sonst in Glück und Reichtum gelebt hätte, aber jetzt so arm wäre, dass er sich nicht zu raten wüsste. "Sei ruhig", antwortete die Nixe, "ich will dich reicher und glücklicher machen, als du je gewesen bist, nur musst du mir versprechen, dass du mir geben willst, was eben in deinem Hause jung geworden ist."
"Was kann das anders sein", dachte der Müller, "als ein junger Hund oder ein junges Kätzchen?" und sagte ihr zu, was sie verlangte. Die Nixe stieg wieder in das Wasser hinab, und er eilte getröstet und gutes Mutes nach seiner Mühle. Noch hatte er sie nicht erreicht, da trat die Magd aus der Haustüre und rief ihm zu, er sollte sich freuen, seine Frau hätte ihm einen kleinen Knaben geboren. Der Müller stand wie vom Blitz gerührt er sah wohl, dass die tückische Nixe das gewusst und ihn betrogen hatte. Mit gesenktem Haupt trat er zu dem Bett seiner Frau, und als sie ihn fragte: "Warum freust du dich nicht über den schönen Knaben?" so erzählte er ihr, was ihm begegnet war, und was für ein Versprechen er der Nixe gegeben hatte. "Was hilft mir Glück und Reichtum", fügte er hinzu, "wenn ich mein Kind verlieren soll? Aber was kann ich tun?" Auch die Verwandten, die herbeigekommen waren, Glück zu wünschen, wussten keinen Rat.
Indessen kehrte das Glück in das Haus des Müllers wieder ein. Was er unternahm, gelang, es war, als ob Kisten und Kasten von selbst sich füllten und das Geld im Schrank über Nacht sich mehrte. Es dauerte nicht lange, so war sein Reichtum größer als je zuvor. Aber er konnte sich nicht ungestört darüber freuen: die Zusage, die er der Nixe getan hatte, quälte sein Herz. Sooft er an dem Teich vorbeikam, fürchtete er, sie möchte auftauchen und ihn an seine Schuld mahnen. Den Knaben selbst ließ er nicht in die Nähe des Wassers:; "Hüte dich", sagte er zu ihm, "wenn du das Wasser berührst, so kommt eine Hand heraus, hascht dich und zieht dich hinab." Doch als Jahr auf Jahr verging und die Nixe sich nicht wieder zeigte, so fing der Müller an sich zu beruhigen.
Der Knabe wuchs zum Jüngling heran und kam bei einem Jäger in die Lehre. Als er ausgelernt hatte und ein tüchtiger Jäger geworden war, nahm ihn der Herr des Dorfes in seine Dienste. In dem Dorf war ein schönes und treues Mädchen, das gefiel dem Jäger, und als sein Herr das bemerkte, schenkte er ihm ein kleines Haus; die beiden hielten Hochzeit, lebten ruhig und glücklich und liebten sich von Herzen.
Einstmals verfolgte der Jäger ein Reh. Als das Tier aus dem Wald in das freie Feld ausbog, setzte er ihm nach und streckte es endlich mit einem Pfeilschuss nieder. Er bemerkte nicht, dass er sich in der Nähe des gefährlichen Weihers befand, und ging, nachdem er das Tier ausgeweidet hatte, zu dem Wasser, um seine mit Blut befleckten Hände zu waschen. Kaum aber hatte er sie hineingetaucht, als die Nixe emporstieg, lachend mit ihren nassen Armen ihn umschlang und so schnell hinabzog, dass die Wellen über ihm zusammenschlugen. Als es Abend war und der Jäger nicht nach Haus kam, so geriet seine Frau in Angst. Sie ging aus, ihn zu suchen, und da er ihr oft erzählt hatte, dass er sich vor den Nachstellungen der Nixe in acht nehmen musste und nicht in der Nähe des Weihers sich wagen dürfte, so ahnte sie schon, was geschehen war. Sie eilte zu dem Wasser, und als sie am Ufer seine Jägertasche liegen fand, da konnte sie nicht länger an dem Unglück zweifeln. Wehklagend und händeringend rief sie ihren Liebsten mit Namen, aber vergeblich: sie eilte hinüber auf die andere Seite des Weihers, und rief ihn aufs neue; sie schalt die Nixe mit harten Worten, aber keine Antwort erfolgte. Der Spiegel des Wassers blieb ruhig, nur das halbe Gesicht des Mondes blickte unbeweglich zu ihr herauf.
Die arme Frau verließ den Teich nicht. Mit schnellen Schritten, ohne Rast und Ruhe, umkreiste sie ihn immer von neuem, manchmal still, manchmal einen heftigen Schrei ausstoßend, manchmal in leisem Wimmern. Endlich waren ihre Kräfte zu Ende: sie sank zur Erde nieder und verfiel in einen tiefen Schlaf. Bald überkam sie ein Traum. Sie stieg zwischen großen Felsblöcken angstvoll aufwärts; Dornen und Ranken hakten sich an ihre Füße, der Regen schlug ihr ins Gesicht und der Wind zauste ihr langes Haar. Als sie die Anhöhe erreicht hatte, bot sich ein ganz anderer Anblick dar. Der Himmel war blau, die Luft mild, der Boden senkte sich sanft hinab und auf einer grünen, bunt beblümten Wiese stand eine reinliche Hütte. Sie ging darauf zu und öffnete die Türe, da saß eine Alte mit weißen Haaren, die ihr freundlich winkte.
In dem Augenblick erwachte die arme Frau. Der Tag war schon angebrochen, und sie entschloss sich gleich, dem Traum Folge zu leisten. Sie stieg mühsam den Berg hinauf, und es war alles so, wie sie es in der Nacht gesehen hatte. Die Alte empfing sie freundlich und zeigte ihr einen Stuhl, auf den sie sich setzen sollte. "Du musst ein Unglück erlebt haben", sagte sie, "weil du meine einsame Hütte aufsuchst." Die Frau erzählte ihr unter Tränen, was ihr begegnet war. "Tröste dich", sagte die Alte, "ich will dir helfen: da hast du einen goldenen Kamm. Harre, bis der Vollmond aufgestiegen ist, dann geh zu dem Weiher, setze dich am Rand nieder und strähle dein langes schwarzes Haar mit diesem Kamm. Wenn du aber fertig bist, so lege ihn am Ufer nieder, und du wirst sehen, was geschieht.
Die Frau kehrte zurück, aber die Zeit bis zum Vollmond verstrich ihr langsam. Endlich erschien die leuchtende Scheibe am Himmel, da ging sie hinaus an den Weiher, setzte sich nieder und kämmte ihre langen schwarzen Haare mit dem goldenen Kamm, und als sie fertig war, legte sie ihn an den Rand des Wassers nieder. Nicht lange, so brauste es aus der Tiefe, eine Welle erhob sich, rollte an das Ufer und führte den Kamm mit sich fort. Es dauerte nicht länger, als der Kamm nötig hatte, auf den Grund zu sinken, so teilte sich der Wasserspiegel, und der Kopf des Jägers stieg in die Höhe. Er sprach nicht, schaute aber seine Frau mit traurigen Blicken an. In demselben Augenblick kam eine zweite Welle herangerauscht und bedeckte das Haupt des Mannes. Alles war verschwunden, der Weiher lag so ruhig wie zuvor, und nur das Gesicht des Vollmondes glänzte darauf.
Trostlos kehrte die Frau zurück, doch der Traum zeigte ihr die Hütte der Alten. Abermals machte sie sich am nächsten Morgen auf den Weg und klagte der weisen Frau ihr Leid. Die Alte gab ihr eine goldene Flöte und sprach: "Harre, bis der Vollmond wiederkommt, dann nimm diese Flöte, setze dich an das Ufer, blas ein schönes Lied darauf, und wenn du damit fertig bist, so lege sie auf den Sand; du wirst sehen, was geschieht." Die Frau tat, wie die Alte gesagt hatte. Kaum lag die Flöte auf dem Sand, so brauste es aus der Tiefe: eine Welle erhob sich, zog heran, und führte die Flöte mit sich fort. Bald darauf teilte sich das Wasser, und nicht bloß der Kopf, auch der Mann bis zur Hälfte des Leibes stieg hervor. Er breitete voll Verlangen seine Arme nach ihr aus, aber eine zweite Welle rauschte heran, bedeckte ihn und zog ihn wieder hinab.
"Ach, was hilft es mir", sagte die Unglückliche, "dass ich meinen Liebsten nur erblicken um ihn wieder zu verlieren." Der Gram erfüllte aufs neue ihr Herz, aber der Traum führte sie zum drittenmal in das Haus der Alten. Sie machte sich auf den Weg, und die weise Frau gab ihr ein goldenes Spinnrad, tröstete sie und sprach: "Es ist noch nicht alles vollbracht, harre bis der Vollmond kommt, dann nimm das Spinnrad, setze dich ans Ufer und spinn die Spule voll, und wenn du fertig bist, so stelle das Spinnrad nahe an das Wasser, und du wirst sehen, was geschieht." Die Frau befolgte alles genau. Sobald der Vollmond sich zeigte, trug sie das goldene Spinnrad an das Ufer und spann emsig, bis der Flachs zu Ende und die Spule mit dem Faden ganz angefüllt war. Kaum aber stand das Rad am Ufer, so brauste es noch heftiger als sonst in der Tiefe des Wassers, eine mächtige Welle eilte herbei und trug das Rad mit sich fort.
Alsbald stieg mit einem Wasserstrahl der Kopf und der ganze Leib des Mannes in die Höhe. Schnell sprang er ans Ufer, fasste seine Frau an der Hand und entfloh. Aber kaum hatten sie sich eine kleine Strecke entfernt, so erhob sich mit entsetzlichem Brausen der ganze Weiher und strömte mit reißender Gewalt in das weite Feld hinein. Schon sahen die Fliehenden ihren Tod vor Augen, da rief die Frau in ihrer Angst die Hilfe der Alten an, und in dem Augenblick waren sie verwandelt, sie in eine Kröte, er in einen Frosch. Die Flut, die sie erreicht hatte, konnte sie nicht töten, aber sie riss sie beide voneinander und führte sie weit weg.
Als das Wasser sich verlaufen hatte und beide wieder den trocknen Boden berührten, so kam ihre menschliche Gestalt zurück. Aber keiner wusste, wo das andere geblieben war; sie befanden sich unter fremden Menschen, die ihre Heimat nicht kannten. Hohe Berge und tiefe Täler lagen zwischen ihnen. Um sich das Leben zu erhalten, mussten beide die Schafe hüten. Sie trieben lange Jahre ihre Herden durch Feld und Wald und waren voll Trauer und Sehnsucht.
Als wieder einmal der Frühling aus der Erde hervorgebrochen war, zogen beide an einem Tag mit ihren Herden aus, und der Zufall wollte, dass sie einander entgegenzogen. Er erblickte an einem fernen Bergesabhang eine Herde und trieb seine Schafe nach der Gegend hin. Sie kamen in einem Tal zusammen, aber sie erkannten sich nicht, doch freuten sie sich, dass sie nicht mehr so einsam waren. Von nun an trieben sie jeden Tag ihre Herde nebeneinander: sie sprachen nicht viel, aber sie fühlten sich getröstet.
Eines Abends, als der Vollmond am Himmel schien und die Schafe schon ruhten, holte der Schäfer die Flöte aus seiner Tasche und blies ein schönes, aber trauriges Lied. Als er fertig war, bemerkte er, dass die Schäferin bitterlich weinte. "Warum weinst du?" fragte er. "Ach", antwortete sie, "so schien auch der Vollmond, als ich zum letzten Mal dieses Lied auf der Flöte blies und das Haupt meines Liebsten aus dem Wasser hervorkam." Er sah sie an, und es war ihm, als fiele eine Decke von den Augen, er erkannte seine liebste Frau: und als sie ihn anschaute und der Mond auf sein Gesicht schien, erkannte sie ihn auch. Sie umarmten und küssten sich, und ob sie glückselig waren, braucht keiner zu fragen.

"Natürlich habe ich jetzt eine neue Flöte", sprach die alte Nana und schloß für diesen Abend die Augen.

Erfurchtsvoll zogen wir uns alle zurück und die Nacht über stellte ich mir die Frage, wie alt diese Frau wirklich war.
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Tankred
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 28 Nov 2010, 21:00


Ein neuer Tag in Beorsing. Die Kinder des Dorfes fragten mich, ob ich nicht mit ihnen biegsame Äste suchen mag, denn daraus wollten sie kleine Figuren zum Jûlfest basteln.

Natürlich, dass Jûlfest. Ich hatte schon nicht mehr daran gedacht. In weniger als 4 Wochen sollte es endlich wieder heller werden. Bevor ich zusagen konnte, zog mich Ansgar, der Bruder des Vorstehers Ulfgar zur Seite um mich zu sprechen. Wie lange ich denn bleiben möge. Nun, sagte ich, bis die Wege wohl wieder passierbar seien und ob er damit Schwierigkeiten hätte.
Natürlich nicht versicherte er, aber die Rauhnächte. Meinem fragendem Blick ausweichend sprach er weiter. Die Rauhnächte mögen in den Städten nicht so wichtig sein, aber hier im Bärenwald verheißt die Rauhnacht nichts Gutes. Alte Wesen seien mächtig und ich möge doch bis zum Jûlfest bleiben, mich danach die zwei Tage ausruhen und dann schleunigst versuchen aus dem Wald herauszukommen. Er würde mir auch einen Schlitten geben. Der Wald sei nicht sicher von der ersten bis zur letzten der zwölf Rauhnächte. Und gerade auch weil die alte...
Er verstummte plötzlich, drehte sich wortlos um und ging.

Wo war ich hier nur hineingeraten. Diese verständigen, höflichen, gastfreundlichen Menschen sollten so ängstlich sein, dass sie die Rauhnächte so ernst nehmen würden. Jedes Kind kennt ja die Geschichten. Die wilde Jagd. Dämonen und Geisterspuk sowie das mächtige Wirken von Magie in den Tagen nach der Wintersonnenwende bis zum Midwintertag.
Ich rief ihm hinterher, dass ich darüber nachdenken würde, aber innerlich dachte ich daran, die geheimen Geschichten dieses Ortes lieber lösen zu wollen als abzureisen.

Den weiteren Tag verbrachte ich damit, mit den Kindern Gräser zu suchen und Weidenruten zu schneiden. Dabei wurden wir die ganze Zeit von zwei schweigsamen geradezu riesenhaften Köhlern, die mit schweren Äxten bei uns Wache standen, begleitet.
Seltsam dachte ich bei mir, so finster und nervös kamen mir die Leute hier vorher gar nicht vor. Ich beschloß dem auf den Grund zu gehen.

Abends wieder in der Halle eingekehrt, versuchte ich mit Ulfgar, den ich den ganzen Tag nicht gesehen hatte, zu sprechen, aber leider wich er mir ständig aus und unterhielt sich mit einem Kreis anderer Bewohner, die ich inzwischen als Ältestenrat kennen gelernt hatte. Als ich ihn dann endlich in die Enge getrieben hatte um mit ihm zu sprechen, hörte ich hinter mir dann die alte krächzende Stimme:


"Die Skelettfrau

Jahre vergingen, bis sich niemand mehr daran erinnern konnte, gegen welches Gesetz das arme Mädchen verstoßen hatte. Die Leute wussten nur noch, dass ihr Vater sie zur Strafe von einem Felsvorsprung ins Eismeer hinabgestoßen hatte und dass sie ertrunken war.
So lag sie für eine lange Zeit am Meeresboden. Die Fische nagten ihr Fleisch bis auf die Knochen ab und fraßen ihre kohlschwarzen Augen. Blicklos und fleischlos schwebte sie unter den Eisschollen, und ihr Gerippe wurde von der Strömung um- und um- und umgedreht. Die Fischer und Jäger der Gegend hielten sich fern von der Bucht, denn es hieß, dass der Geist der Skelettfrau dort umginge.
Doch eines Tages kam ein junger Fischer aus einer fernen Gegend hergezogen, der nichts davon wusste. Und noch größer war seine Narrheit, dass er seine Vorräte so schlecht geplant hatte, dass er in den Rauhnächten hinaus musste um diese wieder aufzufüllen.
Er ruderte also seinen Kajak in die Bucht, warf seine Angel aus und wartete. Er ahnte ja nicht, dass der Haken seiner Angel sich sogleich in den Rippen des Skeletts verfing! Schon fühlte er den Zug des Gewichts und dachte voll Freude bei sich: »Oh, welch ein Glück! Jetzt habe ich einen Riesenfisch an der Angel, von dem ich mich für lange Zeit ernähren kann. Nun muss ich nicht mehr jeden Tag auf die Jagd gehen.«
Das Skelett bäumte sich wie wild unter dem Wasser auf und versuchte freizukommen, aber je mehr es sich aufbäumte und wehrte, desto unentrinnbarer verstrickte es sich in der langen Angelleine des ahnungslosen Fischers. Das Boot schwankte bedrohlich im aufgewühlten Meer, fast wäre der Fischer über Bord gegangen, aber er zog mit aller Kraft an seiner Angel, er zog und ließ nicht los und hievte das Skelett aus dem Meer empor . »Iii, aiii«, schrie der Mann, und sein Herz rutschte ihm in die Hose hinunter, als er sah, was dort zappelnden seiner Leine hing. »Aiii«, und »igitt«, schrie er beim Anblick der klappernden, mit Muscheln und allerlei Getier bewachsenen Skelettgestalt. Er versetzte dem Scheusal einen Hieb mit seinem Paddel und ruderte, so schnell er es im wilden Gewässer vermochte, an das Meeresufer.
Aber das Skelett hing weiterhin an seiner Angelleine, und da der Fischer seine kostbare Angel nicht loslassen wollte, folgte ihm das Skelett, wohin er auch rannte. Über das Eis und den Schnee; über Erhebungen und durch Vertiefungen folgte ihm die Skelettfrau mit ihrem entsetzlich klappernden Totengebein. »Weg mit dir«, schrie der Fischer und rannte in seiner Angst geradewegs über einige frische Fische, die jemand dort zum Trocknen in die Sonne gelegt hatte. Die Skelettfrau packte ein paar dieser Fische, während sie hinter dem Mann hergeschleift wurde, und steckte sie sich in den Mund, denn sie hatte lange keine Menschenspeisen mehr zu sich genommen.
Und dann war der Fischer bei seinem Haus aus Schnee angekommen. In Windeseile kroch er in sein Schneehaus hinein und sank auf das Nachtlager, wo er sich keuchend und stöhnend von dem Schrecken erholte und uns fremden Göttern dankte, dass er dem Verderben noch einmal entronnen war.
Im Haus aus Schnee herrschte vollkommene Finsternis, und so kann man sich vorstellen, was der Fischer empfand, als er seine Öllampe anzündete und nicht weit von sich, in einer Ecke der Hütte, einen völlig durcheinander geratenen Knochenhaufen liegen sah. Ein Knie der Skelettfrau steckte in den Rippen ihres Brustkorbs, das andere Bein war um ihre Schultern verdreht, und so lag sie da, in seine Angelleine verstrickt. Was dann über ihn kam und ihn veranlasste, die Knochen zu entwirren und alles vorsichtig an die rechte Stelle zu rücken, wusste der Fischer selbst nicht.
Vielleicht lag es an der Einsamkeit seiner langen Nächte, und vielleicht war es auch nur das warme Licht seiner Öllampe, in dem der Totenkopf nicht mehr ganz so grässlich aussah -aber der Fischer empfand plötzlich Mitleid mit dem Gerippe. »Na, na, na«, murmelte er leise vor sich hin und verbrachte die halbe Nacht damit, alle Knochen der Skelettfrau behutsam zu entwirren, sie ordentlich zurechtzurücken und sie schließlich sogar in warme Felle zu kleiden, damit sie nicht fror. Danach schlief der Gute erschöpft ein, und während er dalag und träumte, rann eine helle Träne über seine Wange.
Dies aber sah die Skelettfrau und kroch heimlich an seine Seite, brachte ihren Mund an die Wange des Mannes und trank die eine Träne, die für sie wie ein Strom war, dessen Wasser den Durst eines ganzen Lebens löscht. Sie trank und trank. bis ihr Durst gestillt war, und dann ergriff sie das Herz des Mannes. das ebenmäßig und ruhig in seiner Brust klopfte. Sie ergriff das Herz, trommelte mit ihren kalten Knochenhänden darauf und sang ein Lied dazu. „Oh, Fleisch, Fleisch. Fleisch“, sang die Skelettfrau. „Oh, Haut, Haut, Haut.“ Und je länger sie sang, desto mehr Fleisch und Haut legte sich auf ihre Knochen. Sie sang für alles, was ihr Körper brauchte. für einen dichten Haarschopf und kohlschwarze Augen. eine gute Nase und feine Ohren, für breite Hüften, starke Hände, viele Fettpolster überall und warme. große Brüste. Und als sie damit fertig war, sang sie die Kleider des Mannes von seinem Leib und kroch zu ihm unter die Decke. Aber er war von ihr vollkommen ausgezehrt und sah aus, als wäre er wie in Salz eingelegt.
Sie gab ihm die mächtige Trommel seines Herzens zurück und schmiegte sich an ihn, Untotes Fleisch an verdorrte Haut. So erwachten die beiden, eng umschlungen. Fest aneinander geklammert.
Sie verließen das Schneehaus und streiften über die eisige Ebene. Auf der Suche nach lebendem Fleisch um ihm Gestalt zurück zu geben. Dann aber, mit der letzten Rauhnacht wenn das Licht wiederkehrt wurden beide in die Tiefe gezogen.

Und seit dem erscheinen die beiden Wanderer im Eis immer in den Rauhnächten. Sie jagen alles. Sie klopfen an Türen und Fenster und wenn man sie hereinbittet, dann kommen sie über einen.
Daher haltet in den Rauhnächten immer alles geschlossen und seid vorsichtig, wenn ihr hinaus geht. Denn die wilde Jagd gilt den Menschen.

Mit einem Schaudern wandten wir uns alle ab. Ulfgar war bereits gegangen, so zog ich mich auf mein Lager zurück um nachzudenken, aber lange vermochte ich nicht wach zu bleiben.
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 29 Nov 2010, 20:19


Ich war gerade aufgestanden und hatte mich mit ein wenig Schnee frisch gemacht, als Ulfgar vor mir stand.

Er wäre wohl nicht ganz aufrichtig zu mir gewesen und wolle mir nun Zusammenhänge erklären.
Immer zwei Nächte nach der Wintersonnenwende, mit der ersten Rauhnacht, verschwände die alte Nana bis zum Midwintertag zwölf Tage später. In dieser Zeit soll nach alter Sitte keiner das Haus verlassen und Arbeit tun. Denn draußen gingen Spukgestalten um.
Dann nach Midwinter, also der letzten Rauhnacht, taucht die alte Nana wieder auf und die Dämonen verschwänden.

Ob er denn schon mal jemanden gekannt hätte, der verschwunden wäre?
Nein, sprach Ulfgar, aber es gingen Geschichten.
Von Nana?
Er stimmte zu, fragte aber ob das wichtig sei?
Ich verneinte kopfschüttelnd und dachte mir meinen Teil während Ulfgar fortfuhr.
Der Schutz den die Alte aufbaue umfasse nur die Bewohner dieses Weilers. Gerne würden sie mich länger bis zum Frühjahr wenn es denn Not tue gastfreundlich beihalten, aber die Rauhnächte würden dem entgegen stehen. Er sah wohl meinen schalkhaften Blick und sagte daraufhin ernst: "Was auch immer du von draußen kennst, dieser Wald ist älter und mächtiger. Hier leben Dinge, die woanders schon lange vertrieben sind."

Ich sage euch liebe Freunde, hätte ich seinen Worten doch mehr Glauben geschenkt, Manch Schrecken wäre mir erspart geblieben.

Ulfgar erklärte mir also seinen Plan: Bis Midwinter möge ich bei ihnen bleiben und noch zwei weitere Tage verweilen. Dann wolle er mich mit zwei Pelzjägern zur Begleitung aus dem Wald heraus auf die Straße schicken. Die Jäger würden mich zur nächsten Herberge auf dem Weg nach Eschwald begleiten und dann am nächsten Morgen umkehren. Dies ist alles, was er und alle in Beorsing für mich aus ihrer Freundschaft heraus tun könnten.

Rüde drehte er sich um und ließ mich stehen. Ich suchte mir Arbeit und fand diese bei einer Gerberin, Iris ihr Name, der ich tatkräftige Unterstützung anbot, aber ob ihrer geschickten Beherrschung des Handwerks größtenteils über die Schulter guckte.

Als der Abend heranbrach machten wir uns gemeinsam auf um in der Halle mit den anderen den Abend ausklingen zu lassen. Doch statt einer gemütlichen Unterhaltung wurde ich von den Kindern des Weilers in Beschlag genommen, die seit der gemeinsamen Unternehmung vom Vortag jegliche Scheu vor mir verloren hatten und mich als Kletterbaum und Tobepartner betrachteten.

Mittendrin dann die Stimme: "Die letzten Tage gab es nur Schauermähr, aber heute will ich etwas Gerechtes erzählen...


Das blaue Licht
Es war einmal ein Soldat, der hatte dem König lange Jahre treu gedient; als aber der Krieg zu Ende war und der Soldat, der vielen Wunden wegen, die er empfangen hatte, nicht weiter dienen konnte, sprach der König zu ihm: "Du kannst heim gehen, ich brauche dich nicht mehr; Geld bekommst du weiter nicht, denn Lohn erhält nur der, welcher mir Dienste dafür leistet." Da wusste der Soldat nicht, womit er sein Leben fristen sollte; ging voll Sorgen fort und ging den ganzen Tag, bis er abends in einen Wald kam. Als die Finsternis einbrach, sah er ein Licht, dem näherte er sich und kam zu einem Haus, darin wohnte eine Hexe. "Gib mir doch ein Nachtlager und ein wenig Essen und Trinken", sprach er zu ihr, "ich verschmachte sonst."
"Oho!" antwortete sie, "wer gibt einem verlaufenen Soldaten etwas? Doch will ich barmherzig sein und dich aufnehmen, wenn du tust, was ich verlange." "Was verlangst du?" fragte der Soldat. "Dass du mir morgen meinen Garten umgräbst." Der Soldat willigte ein und arbeitete den folgenden Tag aus allen Kräften, konnte aber vor Abend nicht fertig werden.
"Ich sehe wohl", sprach die Hexe, "dass du heute nicht weiter kannst; ich will dich noch eine Nacht behalten, dafür sollst du mir morgen ein Fuder Holz spalten und klein machen." Der Soldat brauchte dazu den ganzen Tag, und abends machte ihm die Hexe den Vorschlag, noch eine Nacht zu bleiben. "Du sollst mir morgen nur eine geringe Arbeit tun, hinter meinem Hause ist ein alter wasserleerer Brunnen, in den ist mir mein Licht gefallen, es brennt blau und verlischt nicht, das sollst du mir wieder heraufholen."
Den andern Tag führte ihn die Alte zu dem Brunnen und ließ ihn in einem Korb hinab. Er fand das blaue Licht und machte ein Zeichen, dass sie ihn wieder hinaufziehen sollte. Sie zog ihn auch in die Höhe, als er aber dem Rand nahe war, reichte sie die Hand hinab und wollte ihm das blaue Licht abnehmen. "Nein", sagte er und merkte ihre bösen Gedanken, "das Licht gebe ich dir nicht eher, als bis ich mit beiden Füßen auf dem Erdboden stehe." Da geriet die Hexe in Wut, ließ ihn wieder hinab in den Brunnen fallen und ging fort. Der arme Soldat fiel, ohne Schaden zu nehmen, auf den feuchten Boden, und das blaue Licht brannte fort, aber was konnte ihm das helfen?
Er sah wohl, dass er dem Tod nicht entgehen würde. Er saß eine Weile ganz traurig, da griff er zufällig in seine Tasche und fand seine Tabakspfeife, die noch halb gestopft war. "Das soll mein letztes Vergnügen sein", dachte er, zog sie heraus, zündete sie an dem blauen Licht an und fing an zu rauchen. Als der Dampf in der Höhle umhergezogen war, stand auf einmal ein kleines schwarzes Männchen vor ihm und fragte: "Herr, was befiehlst du?"
"Was habe ich dir zu befehlen?" erwiderte der Soldat ganz verwundert. "Ich muss alles tun", sagte das Männchen, was du verlangst." "Gut", sprach der Soldat, "so hilf mir zuerst aus dem Brunnen." Das Männchen nahm ihn bei der Hand und führte ihn durch einen unterirdischen Gang, vergaß aber nicht, das blaue Licht mitzunehmen. Es zeigte ihm unterwegs die Schätze, welche die Hexe zusammengebracht und da versteckt hatte, und der Soldat nahm so viel Gold, als er tragen konnte. Als er oben war, sprach er zu dem Männchen: "Nun geh hin, bind die alte Hexe und führe sie vor das Gericht." Nicht lange, so kam sie auf einem wilden Kater mit furchtbarem Geschrei schnell wie der Wind vorbeigeritten, und es dauerte abermals nicht lang, so war das Männchen zurück. "Es ist alles ausgerichtet", sprach es, "und die Hexe hängt schon am Galgen. Herr, was befiehlst du weiter?" fragte der Kleine. "In dem Augenblick nichts", antwortete der Soldat, "du kannst nach Haus gehen; sei nur gleich bei der Hand, wenn ich dich rufe."
"Es ist nichts nötig", sprach das Männchen, "als dass du deine Pfeife an dem blauen Licht anzündest, dann stehe ich gleich vor dir." Darauf verschwand er vor seinen Augen. Der Soldat kehrte in die Stadt zurück, aus der er gekommen war. Er ging in den besten Gasthof und ließ sich schöne Kleider machen, dann befahl er dem Wirt, ihm ein Zimmer so prächtig als möglich einzurichten. Als es fertig war und der Soldat es bezogen hatte, rief er das schwarze Männchen und sprach: "Ich habe dem König treu gedient, er aber hat mich fortgeschickt und mich hungern lassen, dafür will ich jetzt Rache nehmen."
"Was soll ich tun?" fragte der Kleine. "Spät abends, wenn die Königstochter im Bett liegt, so bring sie schlafend hierher, sie soll Mägdedienste bei mir tun." Das Männchen sprach: "Für mich ist das ein leichtes, für dich aber ein gefährliches Ding, wenn das herauskommt, wird es dir schlimm ergehen."
Als es zwölf geschlagen hatte, sprang die Türe auf, und das Männchen trug die Königstochter herein. "Aha, bist du da?" rief der Soldat, "frisch an die Arbeit geh, hol den Besen und kehr die Stube." Als sie fertig war, hieß er sie zu seinem Sessel kommen, streckte ihr die Füße entgegen und sprach: "Zieh mir die Stiefel aus", warf sie ihr dann ins Gesicht, und sie musste sie aufheben, reinigen und glänzend machen. Sie tat aber alles, was er ihr befahl, ohne Widerstreben, stumm und mit halbgeschlossenen Augen. Bei dem ersten Hahnschrei trug sie das Männchen wieder in das königliche Schloss und in ihr Bett zurück.
Am andern Morgen, als die Königstochter aufgestanden war, ging sie zu ihrem Vater und erzählte ihm, sie hätte einen wunderlichen Traum gehabt. "Ich ward durch die Strassen mit Blitzesschnelle fortgetragen und in das Zimmer eines Soldaten gebracht, dem musste ich als Magd dienen und aufwerten und alle gemeine Arbeit tun, die Stube kehren und die Stiefel putzen. Es war nur ein Traum, und doch bin ich so müde, als wenn ich wirklich alles getan hätte."
"Der Traum könnte wahr gewesen sein", sprach der König, "ich will dir einen Rat geben, stecke deine Taschen voll Erbsen und mache ein kleines Loch in die Tasche, wirst du wieder abgeholt, so fallen sie heraus und lassen die Spur auf der Strasse." Als der König so sprach, stand das Männchen unsichtbar dabei und hörte alles mit an. Nachts, als es die schlafende Königstochter wieder durch die Strassen trug, fielen zwar einzelne Erbsen aus der Tasche, aber sie konnten keine Spur machen, denn das listige Männchen hatte vorher in allen Strassen Erbsen verstreut. Die Königstochter aber musste wieder bis zum Hahnenschrei Mägdedienste tun.
Der König schickte am folgenden Morgen seine Leute aus, welche die Spur suchen sollten, aber es war vergeblich, denn in allen Strassen saßen die armen Kinder und lasen Erbsen auf und sagten: "Es hat heut nacht Erbsen geregnet." "Wir müssen etwas anderes aussinnen", sprach der König, "behalt deine Schuh an, wenn du dich zu Bett legst, und ehe du von dort zurückkehrst, verstecke einen davon; ich will ihn schon finden."
Das schwarze Männchen vernahm den Anschlag, und als der Soldat abends verlangte, er sollte die Königstochter wieder herbeitragen, riet es ihm ab und sagte, gegen diese List wusste es kein Mittel, und wenn der Schuh bei ihm gefunden würde, so könnte es ihm schlimm ergehen. "Tue, was ich dir sage", erwiderte der Soldat, und die Königstochter musste auch in der dritten Nacht wie eine Magd arbeiten; sie versteckte aber, ehe sie zurückgetragen wurde, einen Schuh unter das Bett.
Am andern Morgen ließ der König in der ganzen Stadt den Schuh seiner Tochter suchen; er ward bei dem Soldaten gefunden und der Soldat selbst, der sich auf Bitten des Kleinen zum Tor hinausgemacht hatte, ward bald eingeholt und ins Gefängnis geworfen.
Er hatte sein Bestes bei der Flucht vergessen, das blaue Licht und das Gold, und hatte nur noch einen Dukaten in der Tasche. Als er nun mit Ketten belastet an dem Fenster seines Gefängnisses stand, sah er einen seiner Kameraden vorbeigehen. Er klopfte an die Scheibe, und als er herbeikam, sagte er: "Sei so gut und hol mir das kleine Bündelchen, das ich in dem Gasthaus habe liegen lassen, ich gebe dir dafür einen Dukaten."
Der Kamerad lief hin, und brachte ihm das Verlangte. Sobald der Soldat wieder allein war, steckte er seine Pfeife an und ließ das schwarze Männchen kommen. "Sei ohne Furcht", sprach es zu seinem Herrn, "geh hin, wo sie dich hinfuhren, und lass alles geschehen, nimm nur das blaue Licht mit."
Am andern Tag ward Gericht über den Soldaten gehalten, und obgleich er nichts Böses getan hatte, verurteilte ihn der Richter doch zum Tode. Als er nun hinausgeführt wurde, bat er den König um eine letzte Gnade. "Was für eine?" fragte der König. "Dass ich auf dem Weg noch eine Pfeife rauchen darf."
"Du kannst drei rauchen", antwortete der König, "aber glaube nicht, dass ich dir das Leben schenke." Da zog der Soldat seine Pfeife heraus und zündete sie an dem blauen Licht an, und wie ein paar Ringel vom Rauch aufgestiegen waren, so stand schon das Männchen da, hatte einen kleinen Knüppel in der Hand und sprach: "Was befiehlt mein Herr?" "Schlag mir da die falschen Richter und ihre Häscher zu Boden, und verschone auch den König nicht, der mich so schlecht behandelt hat." Da fuhr das Männchen wie der Blitz, zickzack, hin und her, und wen es mit seinem Knüppel nur anrührte, der fiel schon zu Boden und getraute sich nicht mehr zu regen. Dem König ward angst, er legte sich auf das Bitten, und um nur das Leben zu erhalten, gab er dem Soldaten das Reich und seine Tochter zur Frau."

Als ich auf meinem Lager lag, hatte ich viel Zeit nachzudenken.
Nicht einen Gedanken über die alte Nana und die Geheimnisse dieses Ortes. Nein!
War da wirklich ein etwas längerer Blick von Iris als sie die Halle verließ? Und betrachtete sie mich nicht mit tiefen Blicken aus ihren blauen Augen als ich mit den Kindern tobte.
Darüber schlief ich denn wohl ein und die blauen Augen verbanden sich mit dem blauen Licht das Träume wahr werden lässt zu einem farbenfrohen Traum.
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Tankred
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 30 Nov 2010, 20:29


Endlich schien wieder die Sonne über den Bäumen. Die Wolken waren abgezogen und kein neuer Schnee fiel mehr.

Natürlich taute es nicht, aber so mussten wir wenigstens keine Kräfte aufbringen um die wichtigsten Wege freizuräumen. Eigentlich hatte ich ja vor Iris wieder meine Aufwartungen zu machen, aber statt dessen begleitete ich Ulfgar und zwei weitere Männer auf ihre Bitte hin bei einem Kontrollgang durch den Wald.

Kaum hatten wir das Dorf hinter den Bäumen verschwinden sehen, fiel mir erst auf, wie still und bedrückend der Wald war. Keine Fährten zu sehen, kein Vogel zu hören. Ich selber hatte alle Lust auf Unterhaltung verloren und meine Begleiter schwiegen ebenfalls.
Sicherlich ein dutzend Wolfsangeln hatten wir kontrolliert. Überall war der Schnee zerwühlt, das Fleisch abgefressen oder direkt die Kette gesprengt und die Angel verschleppt.

Sorgenvoll untersuchten wir die Spuren. Ich sage euch, solch große Spuren von Wölfen hatte ich mein Lebtag nicht gesehen. Und dann entdeckten wir eine Fährte, die mir jedes Verlangen nach leichter Minne vergehen ließ. Direkt vor einer leeren Wolfsangel waren die Spuren eines kapitalen Bären zu sehen. Dies war an sich nicht das Erschreckende, Aber als ich dann Begriff, dass der Bär wohl aufrecht gehend sicherlich 100 Schritt aus einem Dickicht bis zur Falle gelaufen war, war meine Ruhe dahin. Ihr habt schon recht gelesen: Gelaufen! Mit weiten Schritten bis zur Falle! Dort griff er wohl in die Angel, zog das Fleisch heraus und ließ sich dann erst auf alle Viere hinab und davon zu traben. Und dann machten wir eine weitere schreckliche Entdeckung. Anders alls alle Bärenspuren die man sonst kennt, waren hier nicht alle Finger und Krallen nebeneinander angeordnet, sondern der an der Tatzeninnenseite befand sich rechtwinklig seitlich der Tatze angeordnet. So wie man es vom Daumen bei Menschen kennt.
Schaudernd zogen wir uns schleunigst Richtung Beorsing zurück.

Wie mir versichert wurde, hatte noch keiner sowas gesehen. Wir diskutierten, ob wir Nana fragen sollten, ob sie schon sowas gehört oder gesehen hatte. Es hatte sie so direkt wohl noch keiner angesprochen.
Während unserer Gespräche füllte sich die Halle mit Menschen und dann kam wieder diese Stimme und zerschnitt all unsere weitere Diskussion:


Die beiden Geschwister und die drei Hunde
Ein Müller und seine Frau starben nacheinander. Sie hinterließen aber zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, und diesen zum Erbe nichts andres als eine Ziege und einen Hahn. Da wollten die Kinder beide Tiere verkaufen, damit sie zu leben hätten, und es band der Knabe der Ziege den Hahn zwischen die Hörner und trieb sie zum Jahrmarkt. Auf der Straße traf er zu einem Fleischhauer, der wollte gerade Vieh kaufen und führte drei Hunde mit sich, einen schwarzen, einen weißen und einen gefleckten. "Willst du nicht mit mir tauschen?" sprach er zum Knaben. Der sah sich die Hunde an, und weil sie ihm sehr gut gefielen, schlug er ein. Der Fleischhauer gab ihm noch ein Pfeifchen und sagte: "Wenn du dieses blasest, so kommen die Hunde, wo sie auch immer sind, dir zu Hilfe!" Damit kehrte er nach Hause. Aber seine Schwester fing an zu weinen, als sie sah, dass ihr Bruder kein Brot brachte. "So müssen wir jetzt doch verhungern!" rief sie einmal über das andere.
Die Hunde aber hatten alles verstanden, und sie sprangen nur einmal auf und liefen fort. In der Nähe war gerade das königliche Lustschloss. Da lief der schwarze in die Küche und brachte einen Braten. Der weiße lief in die Speisekammer und brachte ein Brot, der gefleckte sprang in den Keller und holte eine Flasche Wein. Nun freuten sich die beiden Kinder, aßen und tranken und hatten von da an keine Not. Denn wenn sie hungrig waren, so brachten ihnen die Hunde immer Speise. Aber der König hatte gehört, dass drei Hunde so und so in seine Küche, seine Speisekammer und seine Keller einbrächen und das Beste fortschleppten und dass man sie nicht fangen könne. Da befahl er, man solle überall nachsuchen, und wenn man die Hunde fange, sie und ihre Herren umbringen. Das erfuhren auch die Kinder. Sie machten sich schnell auf und zogen mit den Hunden tief in einen Wald. Hier kamen sie an eine Hütte, drinnen brannte eine Kerze. Sie gingen hinein, und da war eine alte Frau. "Gottlob!" rief sie, "heute Nacht gibt es wieder etwas zum Umbringen! Denn wisset, hier hausen zwölf Räuber, die bald nach Hause kommen." Die Kinder fürchteten sich sehr. Allein dem Knaben kam es bald ein, was zu machen sei. Er ließ den schwarzen Hund vor der Gassentüre, den weißen hinterm Tor, den gefleckten vor der Haustüre Wache halten.
Bald kamen sechs Räuber und fluchten und tobten. Die alte Räubergroßmutter wollte hinaus und ihre Leute warnen. Allein der gefleckte Hund knurrte, sprang gegen sie und ließ sie nicht heraus. Als aber die sechs an das Haus kamen, sprang der schwarze Hund auf, riss sie nieder und brachte alle um. Dann legte er sich zwischen die Toten und lauerte wieder. Nach kurzer Zeit kamen auch die sechs anderen. Der schwarze riss sie ebenfalls nieder und würgte sie. Nur einer von den Räubern, ein junger Kaufmann, war nicht ganz tot. Der schleppte sich noch zum Tor hinein. Da riss ihn der weiße Hund zu Boden. Die alte Räubergroßmutter musste jetzt alles zeigen, was zu sehen war. In einer Kammer lagen große Haufen gestohlener Schätze, und an einer Wand hing ein großes Schwert, das hüpfte in der Scheide. Der Knabe nahm es und band es sich an die Seite. Der Keller war voll von Toten. Dahin musste die Alte auch die Erschlagenen schleppen. Allein den halbtoten jungen Kaufmann verschloss sie unbemerkt in die Kammer.
Am andern Morgen nahm der Knabe seinen schwarzen Hund und ging fort, um die Gegend zu beschauen. Die Schwester blieb mit den beiden anderen Hunden in der Räuberhütte. Da nahm die Alte einen Topf, ging hinaus in die Kammer, schmierte den Kaufmann, und alsbald war er frisch und gesund. Beide kamen nun zur Schwester und überredeten sie, sie solle den Kaufmann heiraten und hier wohnen und alle Schätze besitzen. Ihren Bruder sollten sie umbringen, doch müssten sie erst die Hunde fortschaffen. Das sei aber leicht. Sie solle nur einzeln dieselben in die Kammer nach Mehl schicken, da werde sie die Alte einsperren. Dem Mädchen gefiel der junge Kaufmann, und es willigte ein, und dieser versteckte sich. Als ihr Bruder nach Hause kam, erschien ihm seine Schwester verändert, sie sprach auch ganz anders. Nur einmal schickte sie die Hunde hinaus in die Kammer nach Mehl. Da merkte sich der Knabe etwas. Er ging hinaus und wollte in die Kammer. Diese aber war fest verschlossen. Da erinnerte er sich an das Pfeifchen, das ihm der Fleischhauer gegeben. Er nahm es hervor und blies. Auf einmal sprang die Tür entzwei, und die drei Hunde waren um ihn. Nun ging er wieder in die Hütte. Da stand seine Schwester und der junge Kaufmann und wollten den Knaben eben angreifen und umbringen. Aber er zog sein Schwert und hieb dem Kaufmann den Kopf ab, ging dann in die Kammer und tat an der Alten ein Gleiches. Darauf befahl er seiner Schwester, die Toten in den Keller zu schleppen, warf sie dann selbst hinein und sprach, indem er sie einschloss: "Bis du den jungen Räuber nicht aufgegessen hast, sollst du immer hier bleiben!"
Dann nahm der Knabe seine drei Hunde und zog fort.

Er kam dann zu einer Stadt, die wurde von einem Riesen bedroht und der König der Stadt versprach demjenigen, der den Riesen erschlug, seine Tochter zur Frau und sein Reich als Erbe.
Viele Männer hatten sich schon dran versucht, aber immer hatte der Riese und seine drei Söhne ihnen die Leiber zerschmettert und ihre abgerissenen Köpfe auf die Hänge des Berges in welche ihre Höhle lag, auf Lanzen aufgespießt.
Der Knabe aber zog sein nach Riesenblut dürstendes Schwert und schlug dem Riesen seinen Kopf ab, während die Hunde die Riesenkinder zerrissen.
Als Zeichen seines Sieges nahm der Knabe die Köpfe mit sich in die Stadt und bald sollte er seinen Lohn empfangen.
Der Knabe aber hielt nun Hochzeit mit der Königstochter. Und diese war über alle Maßen froh und glücklich. Als der alte König starb, folgte ihm der Knabe im Reiche nach, und er herrschte weise und gerecht.
Aber ein Kummer nagte doch an seinem Herzen. Er dachte an seine Schwester, und obgleich diese so böse an ihm gehandelt, so hatte er ihr jetzt doch verziehen, und er wollte sie, wenn möglich, auch noch glücklich machen. Er zog daher mit seinen Hunden nach dem Waldhäuschen. Da fand er sie im Keller. Sie hatte alle Toten verzehrt, nur den Kaufmann nicht, und das wollte sie auch nicht, lieber sterben. Der Bruder nahm sie jetzt mit an seinen Königshof und machte sie zum ersten Hoffräulein. Allein sie hatte ihre Falschheit noch nicht aufgegeben. Ihr Bruder sollte es büßen, dass er sie so gestraft habe. Sie ließ bei einem Schmied ein scharfes Messer machen und stellte dieses in das Bett des Königs. Als dieser abends müde sich auf das Bett warf, ging es ihm durch und durch, und er war alsbald tot. Am Morgen aber, wie man hörte, dass der König ermordet wäre, wurde das ganze Land von der höchsten Trauer erfüllt. Die Schwester aber hatte ihr böses Gewissen vom Hofe fortgetrieben, und so war man überzeugt, dass sie es getan habe. Die Königin aber warf sich auf die Leiche, rang die Hände und konnte nicht weinen vor Schmerz.
Da kamen auch die Hunde und weinten und wussten keinen Rat. Endlich erinnerten sich der weiße und gefleckte Hund an den Topf, aus dem die Alte im Wald den Kaufmann lebendig gemacht. Wie sie es erzählten, gab ihnen der schwarze einen derben Schlag, warum sie nicht eher daran gedacht hätten, und sie mussten gleich hinlaufen und den Topf bringen.
Schnell liefen sie nach der Hütte im Wald, fanden hier noch die Scherben und brachten sie, und es war noch so viel Salbe drinnen, dass man den König bestreichen konnte. Da schlug er wieder die Augen auf und war gesund. Alles war voller Jubel, allein niemand freute sich mehr als die Königin. Als man dem König sagte, was mit ihm vorgefallen und dass seine Schwester entwichen sei, rief er:
"Ja, die böse Schlange, das hat sie getan!" Er ließ sie wieder aufsuchen und ins Waldhaus einsperren bei ihrem toten Kaufmann. Da musste sie nun fort an der Leiche sitzen. Bis sie verhungerte.
Es geschah aber, dass die Hunde jetzt vor den König traten und sprachen: "Von nun an können wir dir nichts weiter nützen, haue uns die Häupter ab." - "Nein, nie und nimmermehr, das wäre ein schöner Dank für so treue Dienste!" Wenn sie ihm auch weiter keinen Dienst mehr erweisen könnten, so wolle er sie doch getreu pflegen bis an ihren Tod. Da baten sie ihn aber so sehr und so lange, dass er gerade den größten Dank ihnen damit erweise, wenn er ihren Wunsch erfülle, und so fasste er endlich betrübten Herzens sein Schwert und hieb jedem das Haupt ab. Siehe, da standen nur einmal drei Königssöhne: "Dank dir, du hast uns erlöst. Wir waren so lange verzaubert, bis zum Dank für geleistete Dienste ein junger Held uns das Haupt abschlagen würde, und das hast du getan!" Damit zog jeder fort in seine Heimat, und so waren jetzt alle froh und zufrieden."

Wie die Nana aber mit ihrer Geschichte geendet hatte, da gingen wir alle vor sie hin und frugen, was zu tun sei. Sie starrte uns lange an und versprach uns, am nächsten Tag eine Antwort zu geben.

Mehr war aus ihr auch nicht herauszubekommen und so blieb uns nichts anderes übrig, uns allselbst zurück zu ziehen.
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Tankred
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 01 Dez 2010, 22:21


Mal wieder eine Nacht voller Albdrücke.
Bären mit menschlichen Schädeln, die mir Fleisch von den Knochen rissen. Dazu im Hintergrund ein Roter Mond, der immer wieder blinzelte.
Ich hatte schon erheblich besser geschlafen.

Kaum war ich erwacht, da tauchte auch schon das halbe Dorf in der Halle auf. Geschäftig stellten sie Strohhalme in verschiedenen Längen beieinander und begannen schwatzend ihr Werk.
Bei soviel spürbarer Freude konnte ich doch nicht lange in der Düsternis meiner Traumwelt verbleiben und versuchte herauszufinden, was hier eigentlich los war.
Auf Frage antwortete mir Ingard, die Tochter Ulfgars, dass mit dem heutigen Tag nur noch drei mal sieben Tage bis zum Jûlfest zu verbringen wären. Und wie es sich gehöre, ist damit die Zier- und Werktätigkeit aufzunehmen. Stolz zeigte sie mir einen aus Stroh gebundenen dicken, nun, es könnte ein Hund sein, mit den Worten: "Ich binde Strohhirsche!"

Hier konnte ich nicht bleiben. Diese fröhlichen Menschen zu dieser frühen Uhrzeit konnte ich einfach noch nicht ertragen.
Ich griff einen Becher heißen Kamillenaufguß vom Herdfeuer und verließ erstmal die Halle.
Draußen vor der Tür prallte ich fast mit Ulfgar und einer Versammlung jagderfahrener Bewohner zusammen. Jeder war mit Bogen oder Speer ausgestattet. Freudig nahm ich zur Kenntnis, dass auch Iris bei ihnen stand.
Auf meine Frage was sie zu tun gedächten, zog mich Ulfgar kurz zur Seite:
"Nana sagte, dass Bär wieder stärker wäre. Die Geister alter Zeit wachen immer noch, aber seit vier Wintern werden sie wieder mächtiger. Auch Wolf und Fuchs halten sich hier. Aber diese Kreatur, deren Spuren wir sahen, die kann nicht von ihnen kommen. Es scheint, als würde sich etwas regen, über das nicht gesprochen werden darf!"
"Und was ist es?"
"Frag nicht! Frag nicht!" wehrte er ab. "Du weißt selber in dir was ich meine!"
Mein Schaudern zur Kenntnis nehmend, fuhr er fort: "Um die anderen nicht zu erschrecken, aber um vorbereitet zu sein, werden wir an verschiedenen Ecken Wachen aufstellen."
Ich sagte natürlich direkt meine Hilfe zu. Aber leider wurde ich nicht wie erhofft mit Iris einer Wache zugeteilt, nein, ich bekam einen Baum und einen Wachkameraden zugewiesen, die sich in Herzlichkeit und Gesprächigkeit durchaus miteinander messen konnten. Otar hieß er, dass war aber der einzige Satz, den ich von ihm zu hören bekam.
Und nicht nur, dass ich nach gut sieben Stunden zur Dämmerung zerfroren in die Halle Ulfgars kam, nein, nun hatte Iris auch noch eine Nachtwache zu halten. Das war´s dann auch mit interessanten Gesprächen. Ich legte mich direkt auf mein Lager, versuchte die Glieder wieder erwärmt zu bekommen und dabei auch noch die Stimme Nana´s zu hören.

"Nun, in drei mal sieben Tagen ist Jûlfest. Darum will ich euch heute eine Geschichte über Treue, Mut und Hoffnung erzählen...


Die zwei Brüder
Es waren einmal zwei Brüder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied und bös von Herzen; der arme nährte sich davon, daß er Besen band, und war gut und redlich. Der arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbrüder und sich so ähnlich wie ein Tropfen Wasser dem andern. Die zwei Knaben gingen in des reichen Haus ab und zu und erhielten von dem Abfall manchmal etwas zu essen. Es trug sich zu, daß der arme Mann. als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen Vogel sah, der ganz golden war und so schön, wie ihm noch niemals einer vor Augen gekommen war. Da hob er ein Steinchen auf, warf nach ihm und traf ihn auch glücklich; es fiel aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort. Der Mann nahm die Feder und brachte sie seinem Bruder, der sah sie an und sprach: ,,Es ist eitel Gold!" und gab ihm viel Geld dafür. Am andern Tag stieg der Mann auf einen Birkenbaum und wollte ein paar Äste abhauen; da flog derselbe Vogel heraus, und als der Mann nachsuchte, fand er ein Nest, und ein Ei lag darin, das war von Gold. Er nahm das Ei mit heim und brachte es seinem Bruder, der sprach wiederum: ,,Es ist eitel Gold!" und gab ihm, was es wert war. Zuletzt sagte der Goldschmied: ,,Den Vogel selber möcht' ich wohl haben." Der Arme ging zum drittenmal in den Wald und sah den Goldvogel wieder auf dem Baume sitzen; da nahm er einen Stein, warf ihn herunter und brachte ihn seinem Bruder, der gab ihm einen großen Haufen Gold dafür. ,,Nun kann ich mir forthelfen", dachte er und ging zufrieden nach Hause.

Der Goldschmied war klug und listig und wußte wohl, was das für ein Vogel war. Er rief seine Frau und sprach: ,,Brat' mir den Goldvogel und sorge, daß nichts davon wegkommt; ich habe Lust, ihn ganz allein zu essen." Der Vogel war aber kein gewöhnlicher sondern so wunderbarer Art, daß wer Herz und Leber von ihm aß, jeden Morgen ein Goldstück unter seinem Kopfkissen fand. Die Frau machte den Vogel zurecht, steckte ihn an einen Spieß und ließ ihn braten. Nun geschah es, daß, während er am Feuer stand und die Frau anderer Arbeiten wegen notwendig aus der Küche gehen mußte, die zwei Kinder des armen Besenbinders hereinliefen, sich vor den Spieß stellten und ihn ein paarmal herumdrehten. Und als da gerade zwei Stücklein aus dem Vogel in die Pfanne herabfielen, sprach der eine: ,,Die paar Bißlein wollen wir essen, ich bin so hungrig; es wird's ja niemand daran merken." Da aßen sie beide die Stückchen auf; die Frau kam aber dazu, sah, daß sie etwas aßen, und sprach:,, Was habt ihr gegessen?" - ,,Ein paar Stückchen, die aus dem Vogel herausgefallen sind", antworteten sie. ,,Das ist Herz und Leber gewesen" sprach die Frau ganz erschrocken, und damit ihr Mann nichts vermißte und nicht böse ward, schlachtete sie geschwind ein Hähnchen, nahm Herz und Leber heraus und legte es zu dem Goldvogel. Als er gar war, trug sie ihn dem Goldschmied auf, der ihn ganz allein verzehrte und nichts übrigließ. Am andern Morgen aber, als er unter sein Kopfkissen griff und das Goldstück hervorzuholen dachte, war so wenig wie sonst eins zu finden.

Die beiden Kinder aber wußten nicht, was ihnen für ein Glück zuteil geworden war. Am andern Morgen, wie sie aufstanden, fiel etwas auf die Erde und klingelte, und als sie es aufhoben, da waren's zwei Goldstücke. Sie brachten sie ihrem Vater, der wunderte sich und sprach: ,,Wie sollte das zugegangen sein?" Als sie aber am andern Morgen wieder zwei fanden und so jeden Tag, da ging er zu seinem Bruder und erzählte ihm die seltsame Geschichte. Der Goldschmied merkte gleich, wie es gekommen war und daß die Kinder Herz und Leber von dem Goldvogel gegessen hatten, und um sich zu rächen und weil er neidisch und hartherzig war, sprach er zu dem Vater: ,,Deine Kinder sind mit dem Bösen im Spiel, nimm das Gold nicht, und dulde sie nicht länger in deinem Hause, denn er hat Macht über sie und kann dich selbst noch ins Verderben bringen." Der Vater fürchtete den Bösen, und so schwer es ihn ankam, führte er doch die Zwillinge hinaus in den Wald und verließ sie da mit traurigem Herzen.

Nun liefen die zwei Kinder im Wald umher und suchten den Weg nach Hause, konnten ihn aber nicht finden, sondern verirrten sich immer weiter. Endlich begegneten sie einem Jäger, der fragte: ,,Wem gehört ihr, Kinder?" - ,,Wir sind des armen Besenbinders Jungen", antworteten sie und erzählten ihm, daß ihr Vater sie nicht länger im Hause hätte behalten wollen, weil alle Morgen ein Goldstück unter ihrem Kopfkissen läge. ,,Nun", sagte der Jäger, ,,das ist gerade nichts Schlimmes, wenn ihr nur rechtschaffen dabei bleibt und euch nicht auf die faule Haut legt." Der gute Mann nahm die Kinder, weil sie ihm gefielen und er selbst keine hatte, mit nach Hause und sprach: ,,Ich will euer Vater sein und euch großziehen." Sie lernten da bei ihm die Jägerei, und das Goldstück, das ein jeder beim Aufstehen fand, das hob er ihnen auf, wenn sie's in Zukunft nötig hätten.

Als sie herangewachsen waren, nahm sie ihr Pflegevater eines Tages mit in den Wald und sprach: ,,Heute sollt ihr euern Probeschuß tun, damit ich euch freisprechen und zu Jägern machen kann." Sie gingen mit ihm auf den Anstand und warteten lange, aber es kam kein Wild. Der Jäger sah über sich und erblickte eine Kette von Schneegänsen in der Gestalt eines Dreiecks fliegen, da sagte er zu dem einen: ,,Nun schieß' von jeder Ecke eine herab." Der tat's und vollbrachte damit seinen Probeschuß. Bald darauf kam noch eine Kette angeflogen und hatte die Gestalt der Ziffer zwei; da hieß der Jäger den andern gleichfalls von jeder Ecke eine herunterholen, und dem gelang sein Probeschuß auch. Nun sagte der Pflegevater: ,,Ich spreche euch frei, ihr seid ausgelernte Jäger. ,, Darauf gingen die zwei Brüder zusammen in den Wald, ratschlagten miteinander und verabredeten etwas. Und als sie sich abends zum Essen niedergesetzt hatten, sagten sie zu ihrem Pflegevater: ,,Wir rühren die Speise nicht an und nehmen keinen Bissen, bevor Ihr uns eine Bitte gewährt habt." Sprach er: ,,Was ist denn eure Bitte?" Sie antworteten: ,,Wie haben nun ausgelernt, wir müssen uns auch in der Welt versuchen, so erlaubt, daß wir fortziehen und wandern." Da sprach der Alte mit Freuden: ,,Ihr redet wie brave Jäger. Was ihr begehrt, ist mein Wunsch gewesen; zieht aus, es wird euch wohl ergehen." Darauf aßen und tranken sie fröhlich zusammen.

Als der bestimmte Tag kam, schenkte der Pflegevater jedem einen guten Bogen und einen Hund und ließ jeden von seinen gesparten Goldstücken mitnehmen, soviel er wollte. Darauf begleitete er sie ein Stück Wegs, und beim Abschied gab er ihnen noch ein blankes Messer und sprach: ,,Wenn ihr euch einmal trennt, so stoßt dieses Messer am Scheideweg in einen Baum. Daran kann einer, wenn er zurückkommt, sehen, wie es seinem abwesenden Bruder ergangen ist, denn die Seite, nach der dieser ausgezogen ist, rostet, wenn er stirbt; solang er aber lebt, bleibt sie blank." Die zwei Brüder gingen immer weiter fort und kamen in einen Wald, so groß, daß sie unmöglich in einem Tag hinauskommen konnten. Also blieben sie die Nacht darin und aßen, was sie in die Jägertasche gesteckt hatten; sie gingen aber auch noch den zweiten Tag und kamen nicht hinaus. Da sie nichts zu essen hatten, sprach der eine: ,,Wir müssen uns etwas schießen, sonst leiden wir Hunger", nahm einen Pfeil auf die Sehne und sah sich um. Und als ein alter Hase dahergelaufen kam, legte er an, aber der Hase rief:


,,Lieber Jäger, laß mich leben,

Ich will dir auch zwei Junge geben."


Sprang auch gleich ins Gebüsch und brachte zwei Junge; die Tierlein spielten aber so munter und waren so artig, daß die Jäger es nicht übers Herz bringen konnten, sie zu töten. Sie behielten sie also bei sich, und die kleinen Hasen folgten ihnen auf dem Fuße nach. Bald darauf schlich ein Fuchs vorbei, den wollten sie niederschießen, aber der Fuchs rief:


,,Lieber Jäger, laß mich leben,

Ich will dir auch zwei Junge geben."


Er brachte auch zwei Füchslein, und die Jäger mochten sie auch nicht töten, gaben sie den Hasen zur Gesellschaft, und sie folgten ihnen nach. Nicht lange, so schritt ein Wolf aus dem Dickicht, die Jäger spannten die Bögen, aber der Wolf rief:


,,Lieber Jäger, laß mich leben,

Ich will dir auch zwei Junge geben."


Die zwei jungen Wölfe taten die Jäger zu den andern Tieren, und sie folgten ihnen nach. Darauf kam ein Bär, der wollte gern noch länger herumtraben und rief:


,,Lieber Jäger, laß mich leben,

Ich will dir auch zwei Junge geben."


Die zwei jungen Bären wurden zu den andern gesellt, und nun waren es ihrer schon acht. Endlich, wer kam? Ein Löwe kam und schüttelte seine Mähne. Doch die Jäger ließen sich nicht schrecken und zielten auf ihn; aber der Löwe sprach gleichfalls:


,,Lieber Jäger, laß mich leben,

Ich will dir auch zwei Junge geben."


Er holte auch seine Jungen herbei, und nun hatten die Jäger zwei Löwen, zwei Bären, zwei Wölfe, zwei Füchse und zwei Hasen, die ihnen nachzogen und dienten. Indessen war ihr Hunger damit nicht gestillt worden, da sprachen sie zu den Füchsen: ..Hört' ihr Schleicher, schafft uns etwas zu essen! Ihr seid ja listig und verschlagen." Sie antworteten: ,,Nicht weit von hier liegt ein Dorf, wo wir schon manches Huhn geholt haben; den Weg dahin wollen wir euch zeigen." Da gingen sie ins Dorf, kauften sich etwas zu essen, ließen auch ihren Tieren Futter geben und zogen dann weiter. Die Füchse aber wußten guten Bescheid in der Gegend, wo die Hühnerhöfe waren, und konnten die Jäger überall zurechtweisen.

Nun zogen sie eine Weile herum, konnten aber keinen Dienst finden, wo sie zusammengeblieben wären; da sprachen sie: ,,Es geht nicht anders, wir müssen uns trennen." Sie teilten die Tiere, so daß jeder einen Löwen, einen Bären, einen Wolf, einen Fuchs und einen Hasen bekam; dann nahmen sie Abschied, versprachen sich brüderliche Treue bis in den Tod und stießen das Messer, das ihnen ihr Pflegevater mitgegeben hatte, in einen Baum; worauf der eine nach Osten, der andere nach Westen zog.

So trennten sich erst einmal die beiden Brüder und hier soll für heute Abend die Geschichte enden, aber morgen geht es weiter. Nur jetzt bin ich erschöpft. Habt ihr denn was bisher gelernt?"
"Das Goldvögel ganz gegessen werden müssen!" "Das Jäger gute Menschen sind!" "Das reiche...." schnatterten die Kinder durcheinander
"Mitnichten ihr dummen Gören!" fuhr Nana dazwischen, "Diese Geschichte zeigt, dass zwei Brüder, Zwillinge gar, vor niemandem Angst haben müssen. Und das Tiere ihnen untertan sind! Sei es Hase, Fuchs, Wolf, Bär oder auch Löwe. Drum fürchtet euch nicht und geht jetzt schlafen!"

Ich tat wie mir befohlen
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Tankred
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 02 Dez 2010, 23:49


Ich sags kurz:
Das war wohl zu kalt am Vortag. Denn diesen Tag verbrachte ich zitternd und bibbernd im dauernden Fiebertraum im Bett. Man brachte mir wohl heiße Brühe und flößte mir zahlreiche Kräutertinkturen, eine schlimmer als die andere, ein.
Ich erlebte den Tag halb in einer Traumwelt, in der sich die Erlebnisse der letzten Tage mit den erzählten Geschichten vermischten. Wirre Gespenster umzogen meinen Geist und verdunkelten das Licht. Dumpfe Stimmen kamen an mein Ohr.

Den einzigen klaren Moment hatte ich dann Abends mit der Stimme Nanas:
"Nun wollen wir da weiter machen, wo wir gestern verblieben.


Der jüngere aber kam mit seinen Tieren in eine Stadt, die war ganz mit schwarzem Flor überzogen. Er ging in ein Wirtshaus und fragte den Wirt, ob er nicht seine Tiere beherbergen könnte. Der Wirt gab ihnen einen Stall, wo in der Wand ein Loch war: da kroch der Hase hinaus und holte sich ein Kohlhaupt, und der Fuchs holte sich ein Huhn, und als er das gefressen hatte, auch den Hahn dazu; der Wolf aber, der Bär und der Löwe, weil sie zu groß waren, konnten nicht hinaus. Da ließ sie der Wirt hinbringen, wo eben eine Kuh auf dem Rasen lag, daß sie sich satt fraßen. Und als der Jäger für seine Tiere gesorgt hatte, fragte er erst den Wirt, warum die Stadt so mit Trauerflor ausgehängt wäre. Sprach der Wirt: ,,Weil morgen unseres Königs einzige Tochter sterben wird." Fragte der Jäger: ,,Ist sie sterbenskrank?" - ,,Nein"' antwortete der Wirt, ,,sie ist frisch und gesund, aber sie muß doch sterben." - ,,Wie geht das zu?" fragte der Jäger. - ,,Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf wohnt ein Drache, der muß jedes Jahr eine Jungfrau zum Opfer haben, sonst verwüstet er das ganze Land. Nun sind schon alle Jungfrauen hingegeben, und es ist keine mehr übrig als die Königstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß ihm überliefert werden, und das soll morgen geschehen." Sprach der Jäger: ,,Warum wird der Drache nicht getötet?" - ,,Ach", antwortete der Wirt, ,,so viele Ritter haben's versucht, aber allesamt ihr Leben eingebüßt; der König hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter zur Frau versprochen, und er soll auch nach seinem Tode das Reich erben."

Der Jäger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Tiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da stand oben ein kleiner Tempel, und auf dem Altar standen drei gefüllte Becher, und dabei war die Schrift: ,,Wer die Becher austrinkt, wird der stärkste Mann auf Erden und wird das Schwert führen, das vor der Türschwelle vergraben liegt." Der Jäger trank da nicht, ging hinaus und suchte das Schwert in der Erde, vermochte es aber nicht von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war nun stark genug, das Schwert aufzunehmen, und seine Hand konnte es ganz leicht führen. Als die Stunde kam, wo die Jungfrau dem Drachen ausgeliefert werden sollte, begleiteten sie der König, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von weitem den Jäger oben auf dem Drachenberg und meinte, der Drache stände da und erwarte sie, und da wollte sie nicht hinaufgehen; endlich aber, weil die ganze Stadt sonst verloren gewesen wäre, mußte sie den schweren Gang tun. Der König und die Hofleute kehrten voll großer Trauer heim, des Königs Marschall aber sollte stehenbleiben und aus der Ferne alles mit ansehen.

Als die Königstochter oben auf den Berg kam, stand da nicht der Drache, sondern der junge Jäger, der sprach ihr Trost ein und sagte, er wollte sie retten, führte sie in den Tempel und verschloß sie darin. Gar nicht lange, so kam mit großem Gebraus der siebenköpfige Drache dahergefahren. Als er den Jäger erblickte, verwunderte er sich und sprach: ,,Was hast du hier auf dem Berge zu schaffen?" Der Jäger antwortete: ,,Ich will mit dir kämpfen." Sprach der Drache: ,,So mancher Rittersmann hat hier sein Leben gelassen, mit dir will ich auch fertig werden", und atmete Feuer aus sieben Rachen. Das Feuer sollte das trockene Gras anzünden, und der Jäger sollte in der Glut und dem Dampf ersticken; aber die Tiere kamen herbeigelaufen und traten das Feuer aus. Da fuhr der Drache gegen den Jäger der aber schwang sein Schwert, daß es in der Luft sang. und schlug ihm drei Köpfe ab. Da wurde der Drache erst recht wütend, erhob sich in die Luft, spie die Feuerflammen über den Jäger aus und wollte sich auf ihn stürzen, aber der Jäger zückte nochmals sein Schwert und hieb ihm wieder drei Köpfe ab. Das Untier ward matt und sank nieder und wollte doch wieder auf den Jäger los, aber er schlug ihm mit der letzten Kraft den Schweif ab, und weil er nicht mehr kämpfen konnte, rief er seine Tiere herbei, die zerrissen es in Stücke. Als der Kampf zu Ende war, schloß der Jäger die Tempeltür auf und fand die Königstochter auf der Erde liegen, weil ihr die Sinne vor Angst und Schreck während des Streites vergangen waren. Er trug sie hinaus, und als sie wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, zeigte er ihr den zerrissenen Drachen und sagte ihr, daß sie nun erlöst wäre. Sie freute sich und sprach: ,,Nun wirst du mein liebster Gemahl werden, denn mein Vater hat mich dem versprochen, der den Drachen tötet." Darauf nahm sie ihr Halsband von Korallen ab und verteilte es unter die Tiere, um sie zu belohnen, und der Löwe erhielt das goldene Schlößchen davon. Ihr Taschentuch aber, worin ihr Name stand, schenkte sie dem Jäger, der ging hin und schnitt aus den sieben Drachenköpfen die Zungen aus, wickelte sie in das Tuch und verwahrte sie wohl.

Als das geschehen und der Jäger von dem Feuer und dem Kampfe so matt und müde war, sprach er zur Jungfrau: ,,Wir sind beide so matt und müde, wir wollen ein wenig schlafen." Da sagte sie ja, und sie ließen sich auf die Erde nieder, und der Jäger sprach zu dem Löwen: ,,Du sollst wachen, damit uns niemand im Schlaf überfällt", und beide schliefen ein. Der Löwe legte sich neben sie, um zu wachen, aber er war vom Kampf auch müde, daß er den Bären rief und sprach: ,,Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf." Da legte sich der Bär neben ihn, aber er war auch müde und rief den Wolf und sprach: ,,Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf." Da legte sich der Wolf neben ihn, aber er war auch müde und rief den Fuchs und sprach: ,,Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf." Da legte sich der Fuchs neben ihn, aber er war auch müde, rief den Hasen und sprach: ,,Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf." Da setzte sich der Hase neben ihn, aber der arme Hase war auch müde und hatte niemand, den er zur Wache herbeirufen konnte, und schlief ein. Da schlief nun die Königstochter, der Jäger, der Löwe, der Bär, der Wolf, der Fuchs und der Hase, und schliefen alle einen festen Schlaf.

Der Marschall aber, der von weitem hatte zuschauen sollen, als er den Drachen nicht mit der Jungfrau fortfliegen sah und alles auf dem Berge ruhig war, nahm sich ein Herz und stieg hinauf. Da lag der Drache zerstückt und zerrissen auf der Erde und nicht weit davon die Königstochter und ein Jäger mit seinen Tieren, die waren alle in tiefem Schlaf versunken. Und weil er bös und gottlos war, so nahm er sein Schwert und hieb dem Jäger das Haupt ab; dann faßte er die Jungfrau auf den Arm und trug sie den Berg hinab. Da erwachte sie und erschrak, aber der Marschall sprach; ,,Du bist in meinen Händen, du sollst sagen, daß ich es gewesen bin, der den Drachen getötet hat." - ,,Das kann ich nicht"; antwortete sie, ,,denn ein Jäger mit seinen Tieren hat's getan." Da zog er sein Schwert, drohte sie zu töten, wenn sie ihm nicht gehorchte, und zwang sie damit, daß sie es versprach. Darauf brachte er sie vor den König, der sich vor Freude nicht zu lassen wußte, als er sein liebes Kind wieder lebend erblickte, das er von dem Untier zerrissen glaubte. Der Marschall sprach zu ihm; ,,Ich habe den Drachen getötet und die Jungfrau und das ganze Reich befreit, darum fordere ich sie zur Gemahlin, so wie es zugesagt ist." Der König fragte die Jungfrau; ,,Ist das wahr, was er spricht?" - ,,Ach ja", antwortete sie, ,,es muß wohl wahr sein; aber ich halte mir aus, daß erst über Jahr und Tag die Hochzeit gefeiert wird", denn sie dachte, in der Zeit etwas von ihrem lieben Jäger zu hören.

Auf dem Drachenberg aber lagen noch die Tiere neben dem toten Herrn und schliefen; da kam eine große Hummel und setzte sich dem Hasen auf die Nase, aber der Hase wischte sie mit der Pfote ab und schlief weiter. Die Hummel kam zum zweitenmal, aber der Hase wischte sie wieder ab und schlief fort. Da kam sie zum drittenmal und stach ihn in die Nase, daß er aufwachte. Sobald der Hase wach war, weckte er den Fuchs, und der Fuchs den Wolf, und der Wolf den Bären, und der Bär den Löwen. Und als der Löwe aufwachte und sah, daß die Jungfrau fort war und sein Herr tot, fing er an, fürchterlich zu brüllen und rief; ,,Wer hat das vollbracht? Bär, warum hast du mich nicht geweckt?" Der Bär fragte den Wolf: warum hast du mich nicht geweckt?" und der Wolf den Fuchs: ,,Warum hast du mich nicht geweckt?" und der Fuchs den Hasen ,,Warum hast du mich nicht geweckt?" Der arme Hase wußte allein nichts zu antworten, und die Schuld blieb auf ihm hängen.
Da wollten sie über ihn herfallen, aber er bat und sprach; ,,Bringt mich nicht um, ich will unseren Herrn wieder lebendig machen. Ich weiß einen Berg, da wächst eine Wurzel, wer die im Mund hat, der wird von aller Krankheit und allen Wunden geheilt. Aber der Berg liegt zweihundert Stunden von hier." Sprach der Löwe; ,,In vierundzwanzig Stunden mußt du hin und her gelaufen sein und die Wurzel mitbringen." Da sprang der Hase fort, und in vierundzwanzig Stunden war er wieder zurück und brachte die Wurzel mit. Der Löwe setzte dem Jäger den Kopf wieder an, und der Hase steckte ihm die Wurzel in den Mund; alsbald fügte sich alles wieder zusammen, und das Herz schlug, und das Leben kehrte zurück.
Da erwachte der Jäger und erschrak, als er die Jungfrau nicht mehr sah, und dachte: ,,Sie ist wohl fortgegangen, während ich schlief, um mich loszuwerden." Der Löwe hatte in der großen Eile seinem Herrn den Kopf verkehrt aufgesetzt, der aber merkte es nicht bei seinen traurigen Gedanken an die Königstochter; erst zu Mittag, als er etwas essen wollte, sah er, daß ihm der Kopf nach dem Rücken zu stand' konnte es nicht begreifen und fragte die Tiere, was ihm im Schlaf widerfahren wäre. Da erzählte ihm der Löwe, daß sie auch alle aus Müdigkeit eingeschlafen wären, und beim Erwachen hätten sie ihn tot gefunden mit abgeschlagenem Haupte, der Hase hätte die Lebenswurzel geholt, er aber habe in der Eile den Kopf verkehrt gehalten; doch wollte er seinen Fehler wieder gutmachen. Dann riß er dem Jäger den Kopf wieder ab, drehte ihn herum, und der Hase heilte ihn mit der Wurzel fest.

Der Jäger aber war traurig, zog in der Welt umher und ließ seine Tiere vor den Leuten tanzen. Es trug sich zu, daß er gerade nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe Stadt kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst hatte, und die Stadt war diesmal ganz mit rotem Scharlach ausgehängt. Da sprach er zum Wirt:

,,Was will das sagen? Vorm Jahr war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute der rote Scharlach?" Der Wirt antwortete: ,,Vorm Jahr sollte unseres Königs Tochter dem Drachen ausgeliefert werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn getötet, und da soll morgen ihre Vermählung gefeiert werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem Flor zur Trauer und ist heute mit rotem Scharlach zur Freude ausgehängt."

Am andern Tag, da die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger um die Mittagszeit zum Wirt: ,,Glaubt Er wohl, Herr Wirt, daß ich heute Brot von des Königs Tisch bei Ihm essen will?" - ,,Ja", sprach der Wirt, ,,da wollt' ich doch noch hundert Goldstäcke dransetzen, daß das nicht wahr ist." Der Jäger nahm die Wette an und setzte einen Beutel mit ebensoviel Goldstücken dagegen. Dann rief er den Hasen und sprach: ,,Geh' hin, lieber Springer, und hoI' mir von dem Brote, das der König ißt." Nun war das Häslein das Geringste und konnte es keinem andern wieder auftragen, sondern mußte sich selbst auf die Beine machen. ,,Ei", dachte es, ,,wenn ich so allein durch die Straßen springe, werden die Metzgerhunde hinter mir drein sein."
Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde kamen hinter ihm drein und wollten ihm sein gutes Fellchen flicken. Es sprang aber, hast du nicht gesehen! und flüchtete sich in ein Schilderhaus, ohne daß es der Soldat gewahr wurde. Da kamen die Hunde und wollten es heraushaben, aber der Soldat verstand keinen Spaß und schlug mit dem Kolben drein, daß sie schreiend und heulend fortliefen. Als der Hase merkte, daß die Luft rein war, sprang er zum Schloß hinein und gerade zur Königstochter, setzte sich unter ihren Stuhl und kratzte sie am Fuß. Da sagte sie: ,,Willst du fort!" und meinte, es wäre ihr Hund. Der Hase kratzte zum zweitenmal am Fuß, da sagte sie wieder: ,,Willst du fort!" und meinte, es wäre ihr Hund. Aber der Hase ließ sich nicht irremachen und kratzte zum drittenmal; da guckte sie hinab und erkannte den Hasen an seinem Halsband. Nun nahm sie ihn auf ihren Schoß, trug ihn in ihre Kammer und sprach: ,,Lieber Hase, was willst du?" Antwortete er: ,,Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier und schickt mich, ich soll um ein Brot bitten, wie es der König ißt." Da war sie voll Freude und ließ den Bäcker kommen und befahl ihm, ein Brot zu bringen, wie es der König aß. Sprach das Häslein: ,,Aber der Bäcker muß mir's auch hintragen, damit mir die Metzgerhunde nichts tun." Der Bäcker trug es ihm bis an die Tür der Wirtsstube, da stellte sich der Hase auf die Hinterbeine, nahm alsbald das Brot in die Vorderpfoten und brachte es seinem Herrn. Da sprach der Jäger: ,,Sieht Er, Herr Wirt, die hundert Goldstücke sind mein."
Der Wirt wunderte sich, aber der Jäger sagte weiter: ,,Ja, Herr Wirt, das Brot hätt' ich, nun will ich aber auch von des Königs Braten essen. Der Wirt sagte: ,,Das möcht' ich sehen", aber wetten wollte er nicht mehr. Rief der Jäger den Fuchs und sprach: ,,Mein Füchslein, geh' hin und hoI' mir Braten, wie ihn der König ißt." Der Rotfuchs wußte die Schliche besser, ging an den Ecken und durch die Winkel, ohne daß ihn ein Hund sah, setzte sich unter der Königstochter Stuhl und kratzte an ihrem Fuß. Da sah sie hinab und erkannte den Fuchs am Halsband, nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach: ,,Lieber Fuchs, was willst du?" Antwortete er: ,,Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier und schickt mich, ich soll bitten um einen Braten, wie ihn der König ißt." Da ließ sie den Koch kommen, der mußte einen Braten, wie ihn der König aß, anrichten, und dem Fuchs bis an die Tür tragen; da nahm ihm der Fuchs die Schüssel ab, wedelte mit seinem Schwanz erst die Fliegen weg, die sich auf den Braten gesetzt hatten, und brachte ihn dann seinem Herrn. ,,Sieht Er, Herr Wirt", sprach der Jäger, ,,Brot und Fleisch ist da, nun will ich auch Zugemüs essen, wie es der König ißt."
Da rief er den Wolf und sprach: ,,Lieber Wolf, geh' hin und hol' mir Zugemüs, wie es der König ißt." Da ging der Wolf geradezu ins Schloß, weil er sich vor niemand fürchtete, und als er in der Königstochter Zimmer kam, zupfte er sie hinten am Kleide, daß sie sich umschauen mußte. Sie erkannte ihn am Halsband, nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach:,, Lieber Wolf, was willst du?" Antwortete er:,, Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um ein Zugemüs, wie es der König ißt." Da ließ sie den Koch kommen, der mußte ein Zugemüs bereiten. wie es der König aß, und mußte es dem Wolfe bis vor die Tür tragen; da nahm ihm der Wolf die Schüssel ab und brachte sie seinem Herrn. ,,Sieht Er, Herr Wirt", sprach der Jäger, ,,nun hab' ich Brot, Fleisch und Zugemüs, aber ich will auch Zuckerwerk essen, wie es der König ißt."
Rief er den Bären und sprach: ,,Lieber Bär, du leckst doch gern etwas Süßes, geh' hin und hol' mir Zuckerwerk, wie es der König ißt." Da trabte der Bär nach dem Schlosse, und jedermann ging ihm aus dem Wege; als er aber zu der Wache kam, hielt sie die Flinten vor und wollte ihn nicht ins königliche Schloß lassen. Aber er hob sich in die Höhe und gab mit seinen Tatzen links und rechts ein paar Ohrfeigen, daß die ganze Wache zusammenfiel; darauf ging er geradewegs zu der Königstochter, stellte sich hinter sie und brummte ein wenig. Da schaute sie rückwärts und erkannte den Bären. Sie hieß ihn mitgehen in ihre Kammer und sprach: ,,Lieber Bär, was willst du?" Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um Zuckerwerk, wie es der König ißt." Da ließ sie den Zuckerbäcker kommen, der mußte Zuckerwerk backen, wie es der König aß, und dem Bären vor die Tür tragen. Da leckte der Bär erst die Zuckererbsen auf, die heruntergerollt waren, dann stellte er sich aufrecht, nahm die Schüssel und brachte sie seinem Herrn. ,,Sieht Er, Herr Wirt", sprach der Jäger, ,,nun habe ich Brot, Fleisch, Zugemüs und Zuckerwerk' aber ich will auch Wein trinken, wie ihn der König trinkt." Er rief seinen Löwen herbei und sprach: ,,Lieber Löwe, du trinkst dir doch gern einen Rausch, geh' und hol' mir Wein, wie ihn der König trinkt."
Da schritt der Löwe über die Straße, und die Leute liefen vor ihm, und als er an die Wache kam, wollte sie den Weg sperren, aber er brüllte nur einmal, so sprang alles fort. Nun ging der Löwe vor das königliche Zimmer und klopfte mit seinem Schweif an die Tür. Da kam die Königstochter heraus und wäre fast über den Löwen erschrocken; aber sie erkannte ihn an dem goldenen Schloß von ihrem Halsbande, hieß ihn mit in ihre Kammer gehen und sprach: ,,Lieber Löwe, was willst du?" Antwortete er: ,,Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um Wein, wie ihn der König trinkt." Da ließ sie den Mundschenk kommen, der sollte dem Löwen Wein geben, wie ihn der König trank. Sprach der Löwe: ,,Ich will mitgehen und sehen, daß ich den rechten kriege." Da ging er mit dem Mundschenk hinab, und als sie unten an die Fässer kamen, wollte ihm dieser von dem gewöhnlichen Wein zapfen, wie ihn des Königs Diener tranken; aber der Löwe sprach: ,,Halt, ich will den Wein erst versuchen", zapfte sich eine halbe Maß und schluckte sie auf einmal hinab. ,,Nein", sagte er, ,,das ist nicht der rechte." Der Mundschenk sah ihn schief an, ging aber und wollte ihm aus einem andern Fasse geben, das für des Königs Marschall war. Sprach der Löwe:

"Halt, erst will ich den Wein versuchen", zapfte sich eine halbe Maß und trank sie. ,,Der ist besser", sagte er, ,,aber noch nicht der rechte." Da wurde der Mundschenk bös und sprach: ,,Was so ein dummes Vieh vom Wein verstehen will!" Aber der Löwe gab ihm einen Schlag hinter die Ohren, daß er unsanft zur Erde fiel, und als er sich wieder aufgemacht hatte, führte er den Löwen ganz stillschweigend in einen besonderen Keller, wo des Königs Wein lag, von dem sonst kein Mensch zu trinken bekam. Der Löwe zapfte sich erst eine halbe Maß und versuchte den Wein, dann sprach er: ,,Das kann vom rechten sein", und hieß den Mundschenk sechs Flaschen füllen. Nun stiegen sie hinauf; wie der Löwe aber aus dem Keller ins Freie kam, schwankte er hin und her und war ein wenig trunken, und der Mundschenk mußte ihm den Wein bis vor die Tür tragen. Da nahm der Löwe den Henkelkorb ins Maul und brachte ihn seinem Herrn. Sprach der Jäger: ,,Sieht Er, Herr Wirt, da hab' ich Brot, Fleisch, Zugemüs, Zuckerwerk und Wein, wie es der König hat, nun will ich mit meinen Tieren Mahlzeit halten", und setzte sich hin, aß und trank und gab dem Hasen, dem Fuchs, dem Wolf, dem Bären und dem Löwen auch davon zu essen und zu trinken und war guter Dinge, denn er sah, daß ihn die Königstochter noch lieb hatte. Und, als er Mahlzeit gehalten hatte, sprach er: ,,Herr Wirt, nun habe ich gegessen und getrunken, wie der König ißt und trinkt, jetzt will ich an des Königs Hof gehen und die Königstochter heiraten." Fragte der Wirt: ,,Wie soll das zugehen, da sie schon einen Bräutigam hat und heute Vermählung gefeiert wird?" Da zog der Jäger das Taschentuch heraus, das ihm die Königstochter auf dem Drachenberg gegeben hatte und worin die sieben Zungen des Untiers eingewickelt waren, und sprach: ,,Dazu soll mir helfen, was ich da in der Hand halte." Da sah der Wirt das Tuch an und sprach: ,,Wenn ich alles glaube, so glaube ich das nicht und will wohl Haus und Hof dransetzen." Der Jäger aber nahm einen Beutel mit tausend Goldstücken' stellt ihn auf den Tisch und sagte: ,,Das setze ich dagegen."

Nun sprach der König an der königlichen Tafel zu seiner Tochter:,, Was haben die wilden Tiere alle gewollt, die zu dir gekommen und in meinem Schlosse ein- und ausgegangen sind?" Da antwortete sie: ,,Ich darf's nicht sagen, aber schickt hin und laßt den Herrn dieser Tiere holen, so werdet Ihr wohltun." Der König schickte einen Diener ins Wirtshaus und ließ den fremden Mann einladen, und der Diener kam gerade, wie der Jäger mit dem Wirt gewettet hatte. Da sprach der Jäger: ,,Sieht Er, Herr Wirt, da schickt der König einen Diener und läßt mich einladen, aber ich gehe so noch nicht:" Und zu dem Diener sagte er: "Ich lasse den Herrn König bitten, daß er mir königliche Kleider schickt, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die mir aufwarten." Als der König die Antwort hörte, sprach er zu seiner Tochter: ,,Was soll ich tun?" Sagte sie: ,,Laß ihn holen, wie er's verlangt, so werdet Ihr wohltun." Da schickte der König königliche Kleider, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die ihm aufwarten sollten. Als der Jäger sie kommen sah, sprach er: ,,Sieht er, Herr Wirt, nun werde ich abgeholt, wie ich es verlangt habe", und zog die königlichen Kleider an, nahm das Tuch mit den Drachenzungen und fuhr zum König. Als ihn der König kommen sah, sprach er zu seiner Tochter: ,,Wie soll ich ihn empfangen?" Antwortete sie: ,,Geht ihm entgegen, so werdet Ihr wohltun." Da ging ihm der König entgegen und führte ihn hinauf, und seine Tiere folgten ihm nach.
Der König wies ihm einen Platz an neben sich und seiner Tochter, der Marschall saß auf der andern Seite, als Bräutigam, aber der kannte ihn nicht mehr. Nun wurden gerade die sieben Häupter des Drachen zur Schau aufgetragen, und der König sprach: ,,Die sieben Häupter hat der Marschall dem Drachen abgeschlagen, darum geb' ich ihm heute meine Tochter zur Gemahlin." Da stand der Jäger auf, öffnete die sieben Rachen und sprach: ,,Wo sind die sieben Zungen des Drachen?" Da erschrak der Marschall, ward bleich und wußte nicht was er antworten sollte; endlich sagte er in der Angst: ,,Drachen haben keine Zungen." Sprach der Jäger: "Die Lügner sollten keine haben, aber die Drachenzungen sind das Wahrzeichen des Siegers." Und nun wickelte er das Tuch auf, da lagen sie alle sieben darin, und dann steckte er jede Zunge in den Rachen, in den sie gehörte, und sie paßten genau. Darauf nahm er das Tuch, in das der Name der Königstochter gestickt war, zeigte es der Jungfrau und fragte sie, wem sie es gegeben hätte. Da antwortete sie: "Dem, der den Drachen getötet hat." Und dann rief er sein Getier, nahm jedem das Halsband und dem Löwen das goldene Schloß ab, zeigte es der Jungfrau und fragte, wem es gehörte. Antwortete sie: ,,Das Halsband und das goldene Schloß waren mein, ich habe es unter die Tiere verteilt, die den Drachen besiegen halfen." Da sprach der Jäger: "Als ich müde von dem Kampfe geruht und geschlafen habe, da ist der Marschall gekommen und hat mir den Kopf abgehauen. Dann hat er die Königstochter fortgetragen und vorgegeben, er sei es gewesen, der den Drachen getötet habe; und daß er gelogen hat, beweise ich mit den Zungen, dem Tuch und dem Halsband." Und dann erzählte er, wie ihn seine Tiere durch eine wunderbare Wurzel geheilt hätten und daß er ein Jahr lang mit ihnen herumgezogen und endlich wieder hierhergekommen wäre, wo er den Betrug des Marschalls durch die Erzählung des Wirtes erfahren hätte. Da fragte der König seine Tochter: "Ist es wahr, daß dieser den Drachen getötet hat?" Darauf antwortete sie: "Ja, es ist wahr; jetzt darf ich die Schandtat des Marschalls offenbaren, weil sie ohne mein Zutun an den Tag gekommen ist, denn er hat mir das Versprechen zu schweigen abgezwungen. Darum aber habe ich mir ausgehalten, daß erst in Jahr und Tag die Hochzeit gefeiert werden sollte."
Da ließ der König zwölf Ratsherren rufen, die über den Marschall Urteil sprechen sollten, und die urteilten, daß er von vier Ochsen zerrissen werden müßte. Also wurde der Marschall gerichtet, der König aber übergab seine Tochter dem Jäger und ernannte ihn zu seinem Statthalter im ganzen Reich. Die Hochzeit wurde mit großen Freuden gefeiert, und der junge König ließ seinen Vater und Pflegevater holen und überhäufte sie mit Schätzen. Den Wirt vergaß er auch nicht. Er ließ ihn kommen und sprach zu ihm: ,,Sieht Er, Herr Wirt, die Königstochter habe ich geheiratet, und Sein Haus und Hof sind mein." Sprach der Wirt: ,,Ja, das wäre nach dem Rechten." Der junge König aber sagte: ,,Es soll nach Gnaden gehen: Haus und Hof soll Er behalten, und die tausend Goldstücke schenke ich Ihm noch dazu."

Nun waren der junge König und die junge Königin guter Dinge und lebten vergnügt zusammen. Er zog oft hinaus auf die Jagd, weil das seine Freude war, und die treuen Tiere mußten ihn begleiten. Es lag aber in der Nahe ein Wald, von dem hieß es, er wäre nicht geheuer, und wäre einer erst darin, so käme er nicht leicht wieder heraus. Der junge König hatte aber große Lust, darin zu jagen, und ließ dem alten König keine Ruhe, bis er es ihm erlaubte. Nun ritt er mit großer Begleitung aus, und als er zu dem Walde kam, sah er eine schneeweiße Hirschkuh darin und sprach zu seinen Leuten: ,,Haltet hier, bis ich zurückkomme, ich will das schöne Wild jagen", und ritt ihm nach in den Wald hinein, und nur seine Tiere folgten ihm. Die Leute hielten und warteten bis zum Abend, aber er kam nicht wieder. Da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin: ,,Der junge König hat im Zauberwald einer weißen Hirschkuh nachgejagt und ist nicht wiedergekommen." Da war sie in großer Besorgnis um ihn.
Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten und konnte es niemals einholen; wenn er meinte, es wäre schußrecht, so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahinspringen, und endlich verschwand es ganz. Nun merkte er, daß er tief in den Wald hineingeraten war nahm sein Horn und blies, aber er bekam keine Antwort. denn seine Leute konnten's nicht hören. Und da auch die Nacht einbrach, sah er, daß er diesen Tag nicht heimkommen könnte, stieg ab, machte sich bei einem Baum ein Feuer und wollte dabei übernachten. Als er bei dem Feuer saß, und, seine Tiere sich auch neben ihn gelegt hatten, deuchte ihn, als hörte er eine menschliche Stimme; er schaute umher, konnte aber nichts bemerken. Bald darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her, da blickte er in die Höhe und sah ein altes Weib auf dem Baume sitzen, das jammerte in einem fort: "Hu hu hu, was mich friert!" Sprach er: "Steig' herab und wärme dich. wenn dich friert." Sie aber sagte: "Nein, deine Tiere beißen mich." Antwortete er: "Sie tun dir nichts, altes Mütterlein, komm' nur herunter." Sie war aber eine Hexe und sprach: "Ich will dir eine Rute von dem Baume herabwerfen, wenn du sie damit auf den Rücken schlägst, tun sie mir nichts." Da warf sie ihm ein Rütlein hinab, und er schlug sie damit, alsbald lagen sie still und waren in Stein verwandelt. Und als die Hexe vor den Tieren sicher war, sprang sie hinunter, rührte auch ihn mit einer Rute an und verwandelte ihn in Stein. Darauf lachte sie und schleppte ihn und die Tiere in einen Graben, wo schon mehr solcher Steine lagen.

Als aber der junge König gar nicht wiederkam, wurde die Angst und Sorge der Königin immer größer. Nun trug sich zu, daß gerade in dieser Zeit der andere Bruder, der bei der Trennung gen Osten gewandert war, in das Königreich kam. Er hatte einen Dienst gesucht und keinen gefunden, war dann herumgezogen hin und her und hatte seine Tiere tanzen lassen. Da fiel ihm ein, er wollte einmal nach dem Messer sehen, das sie bei ihrer Trennung in einen Baumstamm gestoßen hatten, um zu erfahren, wie es seinem Bruder ginge. Wie er dahin kam, war seines Bruders Seite halb verrostet und halb war sie noch blank. Da erschrak er und dachte: ,,Meinem Bruder muß ein großes Unglück zugestoßen sein, doch kann ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers ist noch blank." Er zog mit seinen Tieren gen Westen, und als er in das Stadttor kam, trat ihm die Wache entgegen und fragte, ob sie ihn bei seiner Gemahlin melden sollte; die junge Königin wäre schon seit ein paar Tagen in großer Angst über sein Ausbleiben und fürchtete, er wäre im Zauberwald umgekommen. Die Wache nämlich glaubte nicht anders, als er wäre der junge König selbst, so ähnlich sah er ihm, und hatte auch die wilden Tiere hinter sich laufen. Da merkte er, daß von seinem Bruder die Rede war, und dachte: "Es ist das beste, ich gebe mich für ihn aus, so kann ich ihn wohl leichter erretten." Also ließ er sich von der Wache ins Schloß begleiten und wurde mit großen Freuden empfangen. Die junge Königin meinte nicht anders, als es wäre ihr Gemahl, und fragte ihn, warum er so lange ausgeblieben wäre. Er antwortete: "Ich hatte mich in einem Walde verirrt und konnte mich nicht eher wieder herausfinden.,' Abends ward er in das königliche Bett gebracht, aber er legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge Königin. Sie wußte nicht, was das heißen sollte, getraute aber nicht, zu fragen.

Da blieb er nun ein paar Tage und erforschte derweil alles, wie es mit dem Zauberwald beschaffen war; endlich sprach er: "Ich muß noch einmal dort jagen." Der König und die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand darauf und zog mit großer Begleitung hinaus. Als er in den Wald gekommen war, erging es ihm wie seinem Bruder. Er sah eine weiße Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten: "Bleibt hier und wartet, bis ich wiederkomme, ich will das schöne Wild jagen", ritt in den Wald hinein, und seine Tiere liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen und geriet so tief in den Wald, daß er darin übernachten mußte. Und als er ein Feuer gemacht hatte, hörte er über sich ächzen: "Hu hu hu, wie mich friert!" Da schaute er hinauf, und es saß dieselbe Hexe oben im Baum. Sprach er: "Wenn dich friert, so komm' herab, altes Mütterchen, und wärme dich." Antwortete sie: "Nein, deine Tiere beißen mich." Er aber sprach: "Sie tun dir nichts." Da rief sie: ,,Ich will dir eine Rute hinabwerfen, wenn du sie damit schlägst, so tun sie mir nichts."
Wie der Jäger das hörte, traute er der Alten nicht und sprach: ,,Meine Tiere schlag' ich nicht, komm' du herunter, oder ich hoI' dich." Da rief sie: ,,Was willst du wohl? Du tust mir doch nichts!" Er aber antwortete: ,,Kommst du nicht, so schieße ich dich herunter." Sprach sie: "Schieß nur zu, vor deinen Pfeilen fürchte ich mich nicht." Da spannte er den Bogen und schoß nach ihr, aber die Hexe war fest gegen alle Pfeilspitzen, lachte, daß es gellte, und rief: "Du sollst mich doch nicht treffen." Der Jäger wußte Bescheid, riß sich drei silberne Nestelspitzen vom Rock und steckte sie auf einen Pfeil, denn dagegen war ihre Kunst umsonst, und als er den Pfeil schoß, stürzte sie gleich mit Geschrei herab. Da stellte er den Fuß auf sie und sprach: ,,Alte Hexe, wenn du nicht gleich gestehst, wo mein Bruder ist, so pack' ich dich auf mit beiden Händen und werfe dich ins Feuer!"
Sie war in großer Angst, bat um Gnade und sagte: "Er liegt mit seinen Tieren versteinert in einem Graben." Da zwang er sie, mit hinzugehen, drohte ihr und sprach: "Alte Meerkatze, jetzt machst du meinen Bruder und alle Geschöpfe, die hier liegen, lebendig, oder du kommst ins Feuer!" Sie nahm eine Rute und rührte die Steine an, da wurde sein Bruder mit den Tieren wieder lebendig, und viele andere, Kaufleute, Handwerker, Hirten, standen auf, dankten für ihre Befreiung und zogen heim. Die Zwillingsbrüder aber, als sie sich wiedersahen, küßten sich und freuten sich von Herzen Dann ergriffen sie die Hexe, banden sie und legten sie ins Feuer, und als sie verbrannt war, tat sich der Wald von selbst auf und war licht und hell, und man konnte das königliche Schloß auf drei Stunden Wegs sehen.

Nun gingen die zwei Brüder zusammen nach Hause und erzählten einander unterwegs ihre Schicksale. Und als der jüngere sagte, er wäre an des Königs Statt Herr im ganzen Lande, sprach der andere: "Das hab' ich wohl gemerkt, denn als ich in die Stadt kam und für dich angesehen wurde, geschah mir alle königliche Ehre: die junge Königin hielt mich für ihren Gemahl, ich mußte an ihrer Seite sitzen und in deinem Bett schlafen." Wie das der andere hörte, ward er so eifersüchtig und zornig, daß er sein Schwert zog und seinem Bruder den Kopf abschlug. Als dieser aber tot dalag und er sein rotes Blut fließen sah, reute es ihn gewaltig: "Mein Bruder hat mich erlöst", rief er aus, "und ich habe ihn dafür getötet!" und jammerte laut. Da kam sein Hase und erbot sich, von der Lebenswurzel zu holen, sprang fort und brachte sie noch zu rechter Zeit. Und der Tote ward wieder ins Leben gebracht und merkte gar nichts von der Wunde.

Darauf zogen sie weiter, und der jüngere sprach: "Du siehst aus wie ich, hast königliche Kleider an wie ich, und die Tiere folgen dir nach wie mir, da wollen wir zu den entgegengesetzten Toren eingehen und von zwei Seiten zugleich beim alten König anlangen." Also trennten sie sich, und bei dem alten König kam zu gleicher Zeit die Wache von dem einen und dem andern Tore und meldete, der junge König mit den Tieren wäre von der Jagd angelangt. Sprach der König: ,,Es ist nicht möglich, die Tore liegen eine Stunde weit auseinander." Indem aber kamen von zwei Seiten die beiden Brüder in den Schloßhof hereinund stiegen beide herauf. Da sprach der König zu seiner Tochter: ,,Sag' an, welcher ist dein Gemahl? Es sieht einer aus wie der andere, ich kann's nicht wissen." Sie war da in großer Angst und konnte es nicht sagen, endlich fiel ihr das Halsband ein, das sie den Tieren gegeben hatte, suchte und fand an dem einen Löwen ihr goldenes Schlößchen. Da rief sie vergnügt:,, Der, dem dieser Löwe nachfolgt, der ist mein rechter Gemahl!" Da lachte der junge König und sagte: ,,Ja, das ist der rechte", und sie setzten sich zusammen zu Tisch, aßen und tranken und waren fröhlich. Abends, als der junge König zu Bett ging, sprach seine Frau: "Warum hast du die vorigen Nächte immer ein zweischneidiges Schwert in unser Bett gelegt, ich habe geglaubt, du wolltest mich totschlagen." Da erkannte er, wie treu sein Bruder gewesen war.

Und nun geht alle ruhig, denn unser Gast ist krank."
Es verließen nun alle die Halle und ich sah nur ihre gebeugte Gestalt am Feuer sitzen. Da sah sie wieder auf, ich spürte ihre Augen auf mir ruhen und ihr Anlitz nah. Und da sprach sie: "Schlafe jetzt tief und gesunde, morgen wirst du wieder bei Kräften sein."
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Tankred
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 03 Dez 2010, 22:02


Bei Kräften sagte sie, hätte sie lieber bei vollen Kräften gesagt.
Ich fühlte mich immer noch nicht wohl, aber immerhin konnte ich mich wieder vom Lager aufrichten, allerdings an ein Verlassen der Halle war nicht zu denken.
Somit wurde ich wieder von den Kindern in Beschlag genommen und beteiligte mich eifrig an der Strohtierbastelei.
Immer wieder kamen Einzelne oder auch Gruppen der Einwohnerschaft und erkundigten sich nach meinem Befinden, wie es im Lande stehe und auch was denn so in den Städten getragen würde...

Ich gab nach meiner Möglichkeit bereitwillig Auskunft, freute mich aber doch sehr, als ich von Gesprächen über den Hofklatsch ablenken konnte, da Ulfgar die Halle betrat und sich zu mir begab.
Es seinen nur Wölfe in den Fallen gewesen und die unheimlichen Spuren nicht wieder aufgetaucht, daher überlege er, morgen die Wachen zu reduzieren, damit alles wieder seinen gewohnten Gang nehmen könne. Immerhin stände ein Fest bevor.
Wir sprachen ein wenig über die Gefahren des Waldes und dass er mir übermorgen, wenn es mir wirklich besser ginge, die besonderen Ecken des Waldes zeigen würde.

Während unseres Gespräch füllte sich wie jeden Abend die Halle und die Nana fing endlich wieder mit einer Geschichte an:


Der Bärenhäuter

Es war einmal ein junger Kerl, der ließ sich als Soldat anwerben, hielt sich tapfer und war immer der vorderste, wenn es Steine, Speere und Pfeile regnete. So lange der Krieg dauerte, ging alles gut, aber als Friede geschlossen war, erhielt er seinen Abschied, und der Hauptmann sagte, er könnte gehen, wohin er wollte. Seine Eltern waren tot, und er hatte keine Heimat mehr, da ging er zu seinen Brüdern und bat, sie möchten ihm so lange Unterhalt geben, bis der Krieg wieder anfinge. Die Brüder aber waren hartherzig und sagten 'was sollen wir mit dir? wir können dich nicht brauchen, sieh zu, wie du dich durchschlägst.'
Der Soldat hatte nichts übrig als seinen Speer, den nahm er auf die Schulter und wollte in die Welt gehen. Er kam auf eine große Heide, auf der nichts zu sehen war als ein Ring von Bäumen, darunter setzte er sich ganz traurig nieder und sann über sein Schicksal nach. 'Ich habe kein Geld,' dachte er, 'ich habe nichts gelernt als das Kriegshandwerk, und jetzt, weil Friede geschlossen ist, brauchen sie mich nicht mehr; ich sehe voraus, ich muß verhungern.'
Auf einmal hörte er ein Brausen, und wie er sich umblickte, stand ein unbekannter Mann vor ihm, der einen grünen Rock trug, recht stattlich aussah, aber einen garstigen Pferdefuß und statt Händen Klauen hatte. 'Ich weiß schon, was dir fehlt,' sagte der Mann, 'Geld und Gut sollst du haben, soviel du mit aller Gewalt durchbringen kannst, aber ich muß zuvor wissen, ob du dich nicht fürchtest, damit ich mein Geld nicht umsonst ausgebe.' 'Ein Soldat und Furcht, wie paßt das zusammen?' antwortete er, 'du kannst mich auf die Probe stellen.' 'Wohlan' antwortete der Mann, 'schau hinter dich.' Der Soldat kehrte sich um und sah einen großen Bär, der brummend auf ihn zutrabte. 'Oho,' rief der Soldat. 'dich will ich an der Nase kitzeln, daß dir die Lust zum Brummen vergehen soll,' setzte seinen Spieß an und traf dem Bär auf die Schnauze, daß er zusammenfiel und sich nicht mehr regte. 'Ich sehe wohl,' sagte der Fremde, 'daß dirs an Mut nicht fehlt, aber es ist noch eine Bedingung dabei, die mußt du erfüllen.'
'Wenn mirs an meiner Seligkeit nicht schadet,' antwortete der Soldat, der wohl merkte, wen er vor sich hatte, 'sonst laß ich mich auf nichts ein.' 'Das wirst du selber sehen' antwortete der Grünrock, 'du darfst in den nächsten sieben Jahren dich nicht waschen, dir Bart und Haare nicht kämmen, die Nägel nicht schneiden und kein Gebet zu den Zwillingen beten. Dann will ich dir einen Rock und Mantel geben, den mußt du in dieser Zeit tragen. Stirbst du in diesen sieben Jahren, so bist du mein, bleibst du aber leben, so bist du frei und bist reich dazu für dein Lebtag.'
Der Soldat dachte an die große Not, in der er sich befand, und da er so oft in den Tod gegangen war, wollte er es auch jetzt wagen und willigte ein. Der Teufel zog den grünen Rock aus, reichte ihn dem Soldaten hin und sagte 'wenn du den Rock an deinem Leibe hast und in die Tasche greifst, so wirst du die Hand immer voll Geld haben.' Dann zog er dem Bären die Haut ab und sagte 'das soll dein Mantel sein und auch dein Bett, denn darauf mußt du schlafen und darfst in kein anderes Bett kommen. Und dieser Tracht wegen sollst du Bärenhäuter heißen.' Hierauf verschwand der Teufel.

Der Soldat zog den Rock an, griff gleich in die Tasche und fand, daß die Sache ihre Richtigkeit hatte. Dann hing er die Bärenhaut um, ging in die Welt, war guter Dinge und unterließ nichts, was ihm wohl und dem Gelde wehe tat. Im ersten Jahr ging es noch leidlich, aber in dem zweiten sah er schon aus wie ein Ungeheuer. Das Haar bedeckte ihm fast das ganze Gesicht, sein Bart glich einem Stück grobem Filztuch, seine Finger hatten Krallen, und sein Gesicht war so mit Schmutz bedeckt, daß wenn man Kresse hineingesät hätte, sie aufgegangen wäre. Wer ihn sah, lief fort, weil er aber allerorten den Armen Geld gab, damit sie für ihn beteten, daß er in den sieben Jahren nicht stürbe, und weil er alles gut bezahlte, so erhielt er doch immer noch Herberge. Im vierten Jahr kam er in ein Wirtshaus, da wollte ihn der Wirt nicht aufnehmen und wollte ihm nicht einmal einen Platz im Stall anweisen, weil er fürchtete, seine Pferde würden scheu werden. Doch als der Bärenhäuter in die Tasche griff und eine Handvoll Dukaten herausholte, so ließ der Wirt sich erweichen und gab ihm eine Stube im Hintergebäude; doch mußte er versprechen, sich nicht sehen zu lassen, damit sein Haus nicht in bösen Ruf käme.

Als der Bärenhäuter abends allein saß und von Herzen wünschte, daß die sieben Jahre herum wären, so hörte er in einem Nebenzimmer ein lautes Jammern. Er hatte ein mitleidiges Herz, öffnete die Türe und erblickte einen alten Mann, der heftig weinte und die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Der Bärenhäuter trat näher, aber der Mann sprang auf und wollte entfliehen. Endlich, als er eine menschliche Stimme vernahm, ließ er sich bewegen, und durch freundliches Zureden brachte es der Bärenhäuter dahin, daß er ihm die Ursache seines Kummers offenbarte. Sein Vermögen war nach und nach geschwunden, er und seine Töchter mußten darben, und er war so arm, daß er den Wirt nicht einmal bezahlen konnte und ins Gefängnis sollte gesetzt werden. 'Wenn Ihr weiter keine Sorgen habt,' sagte der Bärenhäuter, 'Geld habe ich genug.' Er ließ den Wirt herbeikommen, bezahlte ihn und steckte dem Unglücklichen noch einen Beutel voll Gold in die Tasche.

Als der alte Mann sich aus seinen Sorgen erlöst sah, wußte er nicht, womit er sich dankbar beweisen sollte. 'Komm mit mir,' sprach er zu ihm, 'meine Töchter sind Wunder von Schönheit, wähle dir eine davon zur Frau. Wenn sie hört, was du für mich getan hast, so wird sie sich nicht weigern. Du siehst freilich ein wenig seltsam aus, aber sie wird dich schon wieder in Ordnung bringen.' Dem Bärenhäuter gefiel das wohl, und er ging mit. Als ihn die älteste erblickte, entsetzte sie sich so gewaltig vor seinem Antlitz, daß sie aufschrie und fortlief. Die zweite blieb zwar stehen und betrachtete ihn von Kopf bis zu Füßen, dann aber sprach sie 'wie kann ich einen Mann nehmen, der keine menschliche Gestalt mehr hat? Da gefiel mir der rasierte Bär noch besser, der einmal hier zu sehen war und sich für einen Menschen ausgab, der hatte doch einen Husarenpelz an und weiße Handschuhe. Wenn er nur häßlich wäre, so könnte ich mich an ihn gewöhnen.' Die jüngste aber sprach 'lieber Vater, das muß ein guter Mann sein, der Euch aus der Not geholfen hat, habt Ihr ihm dafür eine Braut versprochen, so muß Euer Wort gehalten werden.' Es war schade, daß das Gesicht des Bärenhäuters von Schmutz und Haaren bedeckt war, sonst hätte man sehen können, wie ihm das Herz im Leibe lachte, als er diese Worte hörte. Er nahm einen Ring von seinem Finger, brach ihn entzwei und gab ihr die eine Hälfte, die andere behielt er für sich. In ihre Hälfte aber schrieb er seinen Namen, und in seine Hälfte schrieb er ihren Namen und bat sie, ihr Stück gut aufzuheben. Hierauf nahm er Abschied und sprach 'ich muß noch drei Jahre wandern: komm ich aber nicht wieder, so bist du frei, weil ich dann tot bin. Bitte aber Gott, daß er mir das Leben erhält.'

Die arme Braut kleidete sich ganz schwarz, und wenn sie an ihren Bräutigam dachte, so kamen ihr die Tränen in die Augen. Von ihren Schwestern ward ihr nichts als Hohn und Spott zuteil. 'Nimm dich in acht' sprach die älteste, 'wenn du ihm die Hand reichst, so schlägt er dir mit der Tatze darauf.' 'Hüte dich,' sagte die zweite, 'die Bären lieben die Süßigkeit, und wenn du ihm gefällst, so frißt er dich auf.' 'Du mußt nur immer seinen Willen tun,' hub die älteste wieder an, 'sonst fängt er an zu brummen.' Und die zweite fuhr fort 'aber die Hochzeit wird lustig sein, Bären, die tanzen gut.' Die Braut schwieg still und ließ sich nicht irre machen. Der Bärenhäuter aber zog in der Welt herum, von einem Ort zum andern, tat Gutes, wo er konnte, und gab den Armen reichlich, damit sie für ihn beteten. Endlich, als der letzte Tag von den sieben Jahren anbrach, ging er wieder hinaus auf die Heide und setzte sich unter den Ring von Bäumen. Nicht lange, so sauste der Wind, und der dem Schatten Verfallene stand vor ihm und blickte ihn verdrießlich an; dann warf er ihm den alten Rock hin und verlangte seinen grünen zurück. 'So weit sind wir noch nicht' antwortete der Bärenhäuter, 'erst sollst du mich reinigen.' Der dunkle Verführer mochte wollen oder nicht, er mußte Wasser holen' den Bärenhäuter abwaschen, ihm die Haare kämmen und die Nägel schneiden. Hierauf sah er wie ein tapferer Kriegsmann aus und war viel schöner als je vorher.

Als der Schatten glücklich abgezogen war, so war es dem Bärenhäuter ganz leicht ums Herz. Er ging in die Stadt, tat einen prächtigen Sammetrock an, setzte sich in einen Wagen mit vier Schimmeln bespannt und fuhr zu dem Haus seiner Braut. Niemand erkannte ihn, der Vater hielt ihn für einen vornehmen Feldobrist und führte ihn in das Zimmer, wo seine Töchter saßen. Er mußte sich zwischen den beiden ältesten niederlassen: sie schenkten ihm Wein ein, legten ihm die besten Bissen vor und meinten, sie hätten keinen schönern Mann auf der Welt gesehen. Die Braut aber saß in schwarzem Kleide ihm gegenüber, schlug die Augen nicht auf und sprach kein Wort. Als er endlich den Vater fragte, ob er ihm eine seiner Töchter zur Frau geben wollte, so sprangen die beiden ältesten auf, liefen in ihre Kammer und wollten prächtige Kleider anziehen, denn eine jede bildete sich ein, sie wäre die Auserwählte. Der Fremde, sobald er mit seiner Braut allein war, holte den halben Ring hervor und warf ihn in einen Becher mit Wein, den er ihr über den Tisch reichte. Sie nahm ihn an, aber als sie getrunken hatte und den halben Ring auf dem Grund liegen fand, so schlug ihr das Herz. Sie holte die andere Hälfte, die sie an einem Band um den Hals trug, hielt sie daran, und es zeigte sich, daß beide Teile vollkommen zueinander paßten. Da sprach er 'ich bin dein verlobter Bräutigam, den du als Bärenhäuter gesehen hast, aber durch Gottes Gnade habe ich meine menschliche Gestalt wiedererhalten, und bin wieder rein geworden.' Er ging auf sie zu, umarmte sie und gab ihr einen Kuß. Indem kamen die beiden Schwestern in vollem Putz herein, und als sie sahen, daß der schöne Mann der jüngsten zuteil geworden war, und hörten, daß das der Bärenhäuter war, liefen sie voll Zorn und Wut hinaus. Die eine ersäufte sich im Brunnen, die andere erhängte sich an einem Baum. Am Abend klo pfte jemand an der Türe, und als der Bräutigam öffnete, so wars der Schatten im grünen Rock, der sprach 'siehst du, nun habe ich zwei Seelen für deine eine.'

Wenn auch Bär stark ist und der Schatten lockt, denkt immer daran, dass ihr ein anderes Ziel habt.

Mit diesen Worten entließ uns die Alte.
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Tankred
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Re: Der Winter ist hart in der Nordmark...

Beitrag von Tankred » 04 Dez 2010, 18:31


Ich sags kurz:
Ich war noch nicht gesund genug und musste daher im Warmen bleiben. Leider kam mich selbst die schöne Iris nicht besuchen. Alle hatten zu tun, also half ich den Kindern mit Strohenten, Strohschweinen, Strohhirschen, Strohhasen und was sonst noch so auf Wiese und Wald herumkreucht und fleucht.

Endlich war es wieder Abend geworden und der Lichtblick, die Geschichte der Alten stand bevor.
Sie war wohl gleich dem gesamten Dorf in freudiger Stimmung, zumindest erschien mir dies durch die Geschichte so:


Das Lumpengesindel

Hähnchen sprach zum Hühnchen: "Jetzt ist die Zeit, in der die Nüsse reif werden. Da wollen wir mitsammen auf den Berg gehen und uns einmal richtig satt essen, ehe das Eichhörnchen alle wegholt."

"Ja", antwortete das Hühnchen, "komm, das Vergnügen wollen wir uns machen." Da gingen sie mitsammen auf den Berg, und weil es ein heller Tag war, blieben sie bis zum Abend.

Nun weiß ich nicht, ob sie sich so dick gegessen hatten oder ob sie so übermütig geworden waren, kurz und gut, sie wollten nicht zu Fuß nach Hause gehen, und das Hähnchen mußte einen kleinen Wagen aus Nußschalen bauen. Als er fertig war, setzte sich das Hühnchen hinein und sagte zum Hähnchen: "Du kannst dich gleich vorspannen!"

"Du kommst mir recht", sagte das Hähnchen, "lieber geh' ich zu Fuß nach Hause, als daß ich mich vorspannen lasse. Nein, so haben wir nicht gewettet! Kutscher will ich wohl sein und auf dem Bock sitzen, aber selbst ziehen, das tu ich nicht!"

Als sie so stritten, schnatterte eine Ente daher: "Ihr Diebsvolk, wer hat euch erlaubt, auf meinen Nußberg zu gehen! Wartet, das soll euch schlecht bekommen!" Sie ging mit aufgesperrtem Schnabel auf das Hähnchen los. Aber das Hähnchen war auch nicht faul und rückte der Ente tüchtig zu Leibe. Es hackte mit seinen Sporen so gewaltig auf sie los, daß die Ente um Gnade bat und sich gern zur Strafe vor den Wagen spannen ließ. Das Hähnchen setzte sich nun auf den Bock und war Kutscher. Darauf ging es fort unter beständigem Jagen: "Ente, lauf zu, lauf, was du kannst!"

Als sie ein Stück Weges gefahren waren, begegneten sie zwei Fußgängern, einer Stecknadel und einer Nähnadel. Beide riefen: "Halt! Halt!" Sie sagten, es würde gleich stichdunkel werden, da könnten sie keinen Schritt weiter. Auch wäre es so schmutzig auf der Straße. Sie baten, ob sie nicht ein wenig aufsitzen könnten, sie wären in der Schneiderherberge vor dem Tor gewesen und hätten sich beim Bier verspätet. Da es magere Leute waren, die nicht viel Platz brauchten, ließ das Hähnchen beide einsteigen. Doch mußten sie versprechen, ihm und seinem Hühnchen nicht auf die Füße zu treten.

Spät abends kamen sie zu einem Wirtshaus. Weil sie in der Nacht nicht weiterfahren wollten, die Ente auch nicht gut zu Fuß war und immer von einer Seite auf die andere fiel, so kehrten sie ein. Der Wirt war aber ein fauler Kerl und machte anfangs viele Einwendungen. Sein Haus wäre schon voll, sagte er und dachte bei sich: Das sind doch keine vornehmen Herrschaften! Als sie ihm aber das Ei versprachen, welches das Hühnchen unterwegs gelegt hatte, und er überdies die Ente behalten sollte, die alle Tage ein Ei legte, sagte der Wirt endlich, sie könnten die Nacht über bleiben. Nun ließen sie Speise und Trank auftragen und lebten in Saus und Braus.

Frühmorgens, als es dämmerte und noch alles schlief, weckte Hähnchen das Hühnchen, holte das Ei, pickte es auf, und sie verzehrten es gemeinsam. Die Schalen aber warfen sie auf den Herd. Dann gingen sie zu der Nähnadel, die noch schlief, packten sie beim Kopf und steckten sie in das Sesselkissen des Wirts. Die Stecknadel aber steckten sie in sein Handtuch. Endlich flogen sie, mir nichts, dir nichts, über die Heide davon.

Die Ente, die gern unter freiem Himmel schlief und im Hof geblieben war, hörte sie fortschwirren, machte sich munter und fand einen Bach, auf dem sie hinabschwamm. Das ging geschwinder als vor dem Wagen!

Ein paar Stunden später stieg der Wirt aus den Federn, wusch sich und wollte sich am Handtuch abtrocknen. Da fuhr ihm die Stecknadel über das Gesicht und machte ihm einen roten Strich von einem Ohr zum andern. Dann ging er in die Küche und wollte sich eine Pfeife anstecken. Als er aber an den Herd kam, sprangen ihm die Eierschalen in die Augen. "Heute morgen will mir alles an den Kopf", sagte er und ließ sich verdrießlich auf seinem Großvaterstuhl nieder. Aber geschwind fuhr er wieder in die Höhe und schrie: "Au weh!" Die Nähnadel hatte ihn noch schlimmer und nicht in den Kopf gestochen!

Nun war der Wirt vollends böse, und sein Verdacht richtete sich gegen die Gäste, die gestern abend so spät gekommen waren. Als er aber ging und sich nach ihnen umsah, waren sie fort.

Da tat er einen Schwur, kein solches Lumpengesindel mehr in sein Haus zu nehmen, das viel verzehrt, nichts bezahlt und zum Dank noch obendrein Schabernack treibt!

Auch wenn dieser Tag so nichts zu bringen schien, so sollte er mir doch genug Kraft geben um den nächsten zu überstehen. Aber woher sollte ich das zu dem Zeitpunkt denn wissen, was mich später erwarten würde.
Mit meinem Tagwerk nicht zufrieden schlief ich ein.
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