Aarsblicker Neuigkeiten

Benutzeravatar
Tankred
Offline
Beiträge: 2824
Registriert: 09 Jul 2010, 09:29

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Tankred » 01 Aug 2015, 13:42


Tatsächlich war es nicht möglich weitere neue Nachrichten aus Falkenstein zu erhaschen.
Ritter Thegenhardt wird aber bald wieder zum Ostturney reisen um Neuigkeiten zu erfahren.
Bild

Benutzeravatar
Tankred
Offline
Beiträge: 2824
Registriert: 09 Jul 2010, 09:29

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Tankred » 18 Aug 2015, 17:16


Erzkanzler Torch tritt ab und die Baronie Greifenheim wurde besetzt.
Lest alle Neuigkeiten in der Falkensteiner Wahrheit

http://baerensteiner.de/forum/attachments.php?getid=39
Bild

Benutzeravatar
Tankred
Offline
Beiträge: 2824
Registriert: 09 Jul 2010, 09:29

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Tankred » 15 Mai 2016, 15:49


Neue Nachrichten kommen über die versteckten Handelswege durch die Sümpfe in die Nordmark

Herzog Felian hielt Hof in Heideweit.

Herr Thegenhardt als Heerführer Falkensteins ernannt für die zukünftigen Konflikte.

Rückzug der Valaren aus Hagens Wacht (Ostreich, Mythodea).

Die Edlen des Ostreichs unterzeichnen eine große Urkunde. Während dieses Konvents wurde die Hälfte von Hagens Wacht Falkenstein zugeschlagen.
Herr Thegenhardt eilt zur weiteren Abstimmung zu Herzogs Felian Hof.

Demnächst große Einweihung des Thar & Thorm-Tempels der heiligen Clara in Aarsblick.
Bild

Benutzeravatar
Tankred
Offline
Beiträge: 2824
Registriert: 09 Jul 2010, 09:29

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Tankred » 15 Mai 2016, 17:33


Weitere Neuigkeiten delikater Art:

Es war einmal in einem fernen Reiche, dort lebte eine Herrscherin von wunderbarem Anlitz und feurigem Temperament. Diese war verbunden durch ein Band der Liebe mit einem Kind eines Greifen.
Doch dann kam ein böser Magier mit seinen Schergen, Malakin war er geheißen.
Er zertrennte das Band der Liebe zwischen den beiden.
Doch er wurde gestellt und seinerseits der Magie beraubt und verzaubert.
Nun aber ist die Herrscherin ohne großes Band der Liebe, bis es ein neues zu Knüpfen gibt.
Bild

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 04 Dez 2016, 02:53


Krieg in Falkenstein
Der Tod einer Hexe durch das gerechte Schwert des Answin von Eichentrutz hat eine Armee unbekannten Ursprungs über Falkenstein in Mythodea, in welchem auch die Baronie Aarsblick, Lehen von Danwyn von Hohengrund, liegt, gebracht. Des Feindes Zahl soll überwältigend sein und auch die übellaunigen Elemente sollen sich wiedereinmal gegen die götterachtenden Siedler wenden, doch noch ist Falkenstein nicht verloren. Allerorten sammeln sich die waffenfähigen Knechte unter dem Banner ihrer Herren, werden Waffen geschmiedet und Rüstungen poliert. Ein weiteres Mal muss sich der Mut der Menschen in Falkenstein gegen die Unbilden dieses garstigen Landes behaupten.
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 15 Dez 2016, 23:01


Bericht vom Kampf um Eichstätt


Das innere des Zeltes riecht nach frischem Papier und alter Tinte, nach kaltem Wachs in Siegelringen und glimmender Kohle in einem Kupfernen Becken.

Raphael starrt auf das Blatt hinunter, das vor ihm liegt, eine lange Liste, überschrieben mit Drittes Neu-Falkensteiner, ohne sie wirklich zu sehen, ohne sie zu zählen. Auf dem Schreibtisch liegt die jüngste Ausgabe der Bildergeschichten von Oberst Ostreich und dem Eisenmann, die sein Adjutant dort hingelegt hat, in der Annahme, ihm damit eine Freude zu machen. Er hat sie noch nicht aufgeschlagen, fühlt sich dem Humor der Geschichte, den leichtherzigen Abenteuern, dem Edelmut der Helden und der Niedertracht der Feinde gerade nicht gewachsen. Jeder geht anders mit der Erkenntnis um, noch am Leben zu sein. Manche trinken und feiern am Feuer, und er kann sie draußen hören, die schief gegröhlten Lieder, wahrscheinlich von den Magnusbrunnern, denn sein Zelt steht in der letzten Reihe der Weidqueller, und sie schließen sich in der Lagerordnung an. Andere suchen die Huren auf, und selbst hier, direkt neben der Reichsstrasse, mitten zwischen Kappeln und Eichenhain, sind sie zu finden, warteten schon auf die zurückkehrenden Soldaten. Eine von ihnen kam direkt auf Raphael zu, das Kleid unschicklich weit offen trotz der winterlichen Kälte und bot ihm ihre Dienste an, während er immer noch in seiner Rüstung steckte.

Draußen vor der Zeltplane räuspert sich jemand, was das Höchste an Diskretion und Höflichkeit ist, in einem Leben, in dem jeder vom anderen nur durch eine Lage in Pferdeurin gebleichter Leinwand getrennt ist. Raphael kennt die Stimme, kennt das Geräusch. Komm rein, Harald.

Der Junge schlägt die Zeltplanen beiseite, tritt hindurch, ein Blatt in der Hand. Harald von Rottenburg, Sohn eines Greifenheimer Ritters, ihm als Adjutant zugeteilt. Wie entsetzlich jung er ist. Hat er die Ereignisse von heute schon einmal erlebt? Raphael war in seinem Alter etwa. Er streicht sich mit der Hand über die Wange, über die Bartstoppeln, schon viel zu lange hat er sich nicht mehr rasieren können. Langsam breitet sich das Grau aus vom Kinn nach oben. Heute hat er Männern gegenüber gestanden, die höchstens halb so alt waren wie er. Was für eine entsetzliche Vorstellung. Das ist, als würde man seine eigenen Kinder erschlagen wollen.

Harald reicht ihm das Blatt, bleibt stehen, kann das Zittern seiner Arme nicht ganz verbergen. Er ist ein guter Junge, strebsam, aber zu weich für ihr grimmes Geschäft. Er fürchtet den Zorn seines Vaters mehr als das Leben eines Soldaten, und das ist nie ein guter Antrieb für das Leben im Feld. Jetzt steht er da und zittert, der offene Zelteingang hinter ihm, durch den die kalte Luft diemühselig von der Kohle geschaffene Wärme vertreibt.

Raphael nimmt das Blatt, schaut den Jungen an. Warum schließt du nicht den Eingang und setzt dich neben das Becken, bis ich das hier eingetragen habe?

Harald lächelt dünn und nickt, fummelt an den Zeltplanen und setzt sich mit einem lauten Seufzer der Erleichterung auf den zweiten Stuhl direkt neben dem Becken.

Fünftes Herzogsstolz, das steht oben auf dem Blatt, Werner Arfenblick, tot im Feld, Heinrich Willer, Lazarett, Prognose: zur weiteren Verwendung, Mannfred Hugenbubbel, Lazarett, Prognose: Invalide, das steht darunter. Und noch weitere Namen. Raphael schüttelt den Kopf, will sie nicht mehr sehen. Er wirft das Blatt zu den anderen auf den schmalen Tisch, nimmt die Augengläser ab, die er seit einiger Zeit heimlich bei der Tischarbeit trägt, und legt sie dazu. Er fühlt sich leer, müde, niedergeschlagen, so wie immer hinterher. Und er dachte, dass direkt mit der Arbeit anzufangen, die Bürokratie zu befriedigen, ihn beruhigen würde, wie es das sonst tut. Aber nicht heute. Heute kam alles zu überraschend. Ihnen allen war klar gewesen, was passieren würde, als die Banner angetreten waren auf dem Exerzierplatz auf dem Lechfeld, wohlausgerichtete Blöcke 10 Mann breit, als Melisande vor die Truppen trat und mit knappen Worten berichtete, was in Kappeln geschah.

Aber niemand hat damit gerechnet, dass es heute passiert, oder hier. Er denkt über die Namen nach, auf dem letzten Blatt der St. Georger schweren Reiterei. Einer tot, einer Verwundet, der genesen wird, einer verwundet und vermutlich verkrüppelt, entweder durch die Schwerter des Feindes oder die Messer der Feldscher. So ist die brutale Arithmetik des Krieges. Von 100 Mann, die aufs Feld ziehen, kommen 80 wieder. Oder 90, wenn es ein leichter Sieg ist. Oder nur 60, wenn es fanatische Truppen sind. Der Rest verteilt sich auf eine dieser drei Kategorien. Wenn ihn nicht die Ruhr erwischt oder der Typhus oder das Blutfieber. In den Abenteuern des Oberst Ostreich endet die Schlacht immer damit, dass alle Soldaten des Feindes erschlagen sind, die Überlebenden auf der Seite der Helden wandern über ein Feld, übersät mit Leichen, weil beide Armeen sich gut durchmischen, bevor das Töten beginnt. Aber so ist es nicht. Draußen liegen die Männer in engen Reihen, wo sich die Formationen treffen, eine Reihe an der Kreuzung, noch eine Reihe am Hügel, eine dritte weg von der Strasse neben dem Dorf. Eichstädt, so heißt es, Ein Dutzend Häuser, von denen vielleicht drei noch als solche nutzbar sind. Die Kappelner haben sich verbissen gewehrt. Und sie haben gehalten. Und so nennen sie es auch schon draußen. Der große Kampf um die Freiheit Falkensteins. Die Schlacht von Eichstädt.

Raphael massiert sich den Nasenrücken mit zwei Fingern, als könnte er die morbiden Gedanken damit ebenso verreiben. Plötzlich ist das Zelt zu eng, der beißende Gestank der Kohle zu stechend, Haralds Anwesenheit in seinem Rücken unerträglich. Er steht auf, hält den Jungen mit einer ausgestreckten Hand zurück und schiebt sich durch die übereinander hängende Leinwand am Zelteingang.
Draußen kann er seinen Atem sehen, der frostige Wind beißt ihm ins Gesicht und Raphael zieht die Schaube enger um sich. Heute morgen war der Boden mit Frost überzogen und jetzt, da die Sonne gerade untergegangen ist, bleibt der Himmel wolkenlos und verspricht eine weitere eisige Nacht. Kein gutes Wetter für die Verwundeten. Raphael hofft, dass alle, die noch leben, vom Feld geborgen sind. Noch immer bewegen sich Lichter draußen auf dem Schlachtfeld, aber das werden Leichenfledderer sein. Eigentlich verlangt der Anstand, dass Raphael ein paar Männer zusammen ruft, um sie hinauszuschicken und die menschlichen Aasgeier zu vertreiben, aber er kann die Kraft dafür nicht mehr aufbringen. Statt dessen sucht er seinen Weg zwischen den Zelten hindurch, immer in Richtung des Lärms, in Richtung der hoch aufschlagenden Flammen. Wenn die Größe des Feuers ein Maß für die Größe ihres Sieges wäre, dann hätten sie gerade wohl die Welt erobert, selbst noch zwanzig Schritt entfernt kann Raphael die Hitze der Flammen auf seinem Gesicht spüren. Die Weidqueller und Aarsblicker teilen sich dieses Feuer, sitzen auf Steinen und Baumstämmen, die von einem Holzstoß an einer Schonung hierher gebracht wurden, ein Fass Magnusbrunner ist angebrochen, Flaschen mit Amselbeere kreisen, hausgemachter Schnaps wird getauscht. Eine Gruppe Rotjacken sitzt im Kreis mit den Männern vom zweiten Banner und man tauscht Heldengeschichten über den Moment, als die Aarsblicker den feindlichen Reitern in die Flanke gefallen sind, gerade als diese im Begriff waren, das Karree aufzubrechen. Dame Claire kommt ihm entgegen, den Zopf bereits halb aufgelöst, das Gesicht gerötet von Feuer und Wein, lachend, einen hochgewachsenen Aarsblicker mit gezwirbeltem Bart an der Hand hinter sich herziehend. Raphael folgt ihr mit dem Blick. Hier draußen geht es ihm besser, unter den Soldaten, die sich freuen, noch am Leben zu sein, die den Sieg feiern, auch wenn sie alle wissen, dass dies nicht das Ende der Geschichte ist, dass sie noch einen weiten Weg werden gehen müssen. Ja, die Darothssöhne sind geschlagen, ihr Vormarsch Richtung Osten ist gestoppt, sie haben ernste Verluste erlitten und mußten das Feld in wilder Flucht nach Westen verlassen. Aber ihre Armee ist immer noch im Feld, immer noch gefährlich, manche ihrer Truppen standen heute gar nicht auf dem Feld, sondern streifen noch immer durch Kappeln.

Aber heute haben sich die Falkensteiner diesen Moment des Atemholens verdient, diesen Abend des Feierns und Trinkens, und ja, der Vergnügungen, so wie sie sie finden können. Einer der Hauptleute tritt neben ihn, bietet ihm einen Becher an, ohne etwas zu sagen. Er kennt Raphael, sie alle kennen ihn, er hat Oberst Feldmann intensiv bei der Aufstellung und Ausbildung der Lehenstruppen unterstützt, sie alle wissen, wie er ist. Raphael nimmt den Becher und stürzt den Inhalt herunter, ohne daran zu riechen oder sich für seine Natur besonders zu interessieren. Schnaps, scharf, brennend auf der Zunge, mit einem flachen Nachgeschmack. Das ist dieses neue Zeug, dass sie aus den Kartoffeln brennen, die eigentlich als Nahrung Weidquell durch den Winter bringen sollten. Aber er betäubt angenehm, nicht nur den Mund, auch den Verstand.

Raphael reicht den Becher zurück. Danke, Reinhard. Gute Arbeit heute. Er schaut den Offizier an, dessen Blick in sich gekehrt ist und starr. Es war wichtig, diese Lücke zu schließen. Ihr habt mit beiden Füßen im Feuer gestanden, aber ihr habt uns allen den Arsch gerettet.

Hauptmann Reinhard Verstappen nickt und verzieht den Mund. Sein Halbbanner hat heute mehr Männer verloren als die anderen Weidqueller Truppen, darunter auch seinen Bruder, der nun ohne rechten Unterarm im Lazarett liegt. Danke für die freundlichen Worte. Ich richte sie den Männern aus.

Morgen früh werde ich zu allen sprechen. Sie sehen sich einen Moment an, es ist alles gesagt, den Rest können sie sich auf diesem Wege mitteilen.

Raphael geht weiter, lauscht dem Lied, dass die Soldaten gröhlen, über Wesen auf Feldwegen. Immer wieder drauf. Bilder des heutigen Tages gehen durch seinen Kopf, er hat nicht viel Zeit in der Linie verbracht, das bringt der Dienst des Stabsoffiziers so mit sich, aber er hat den Reihen der Feinde, die jetzt draußen auf dem Feld liegen einen hinzugefügt, glaubt er. Ein junger Mann, dessen roter Mantel verrutscht war, der geradewegs auf ihn zu hielt und versuchte, ihn mit dem Speer aus dem Sattel zu stoßen. Er hatte blaue Augen, weit und wild während seines Ansturms, dann schlug sein Ausdruck in Furcht um, als die eiserne Spitze seiner Waffe über die Platten von Raphaels Brigantine kratzte, ohne Halt zu finden. Nun liegt er da draußen. Raphael fragt sich, ob da wo er hergekommen ist, jemand auf ihn wartet, eine Frau, eine Familie, Eltern, die sich um ihn sorgen.

Näher am Feuer ist die Stimmung ausgelassener, viele der Männer haben schon eifrig dem Dunkel zugesprochen oder dem Johannisbeerbrand ihres Großvaters. Raphael macht sich eine gedankliche Notiz, später die Provoste das Lager absuchen zu lassen. Er will am Morgen nach dem Triumph keine erfrorenen Körper im Lager finden von Männern, die zu betrunken waren, um den Weg in ihre Zelte zu finden.

Auf der anderen Seite des Feuers sitzt Aurelia neben Janosch Feldmann, lachend, strahlend, wie eine Blume, auf die Blut regnen mußte, damit sie endlich aufblühen kann. Er denkt daran, wie er sie gesehen hat am frühen Morgen, das weißzähniges Grinsen im blutbefleckten Gesicht, wie er die Hand gehoben hat, um ihr das Blut aus den Augen zu streichen, voller Angst, dass es ihres sein könnte. Fast zwanzig Jahre liegen zwischen ihnen und Raphael kann nicht anders, als sich verantwortlich zu fühlen, aber dieser Augenblick war es, in dem ihm klar wurde, dass Aurelia seinen Schutz als großer Bruder, als Familienoberhaupt nicht mehr benötigt, dass sie von nun an auf eigenen Beinen stehen kann, und dass sie an seiner Statt als Herrin von Weißensee stehen wird, während er mit der Expeditionsstreitmacht zieht.

Das war am Morgen gewesen, als niemand daran dachte, dass dieser Tag die größte Feldschlacht auf Falkensteiner Boden sehen würde. Melisande hatte ihn vorgeschickt, aus dem Lager bei Heersmol in Eichenhain, um Kontakt aufzunehmen und herauszufinden, wo das Expeditionskorps mit Feindberührung rechnen müßte. Ihre Berichte hatten nur besagt, dass sich die als Verstärkung nach Kappeln beorderten Lehenstruppen langsam vor einem zahlenmäßig überlegenen und mobileren Feind nach Westen zurückzogen. Und so war Raphael bei Sonnenaufgang aufgebrochen, mit Harald und zwei Berittenen als Geleit. Sie hatten sich auf der Reichsstrasse gehalten, überschritten die Grenze zwischen Eichenhain und Kappeln im Schatten von Faldrins Motte. Hinter dem Abzweig der Strasse nach Friedheim führt die Reichsstrasse durch ein dichtes Waldstück, und als sie den Wald verließen, konnten sie vor sich die Feldzeichen sehen, grün und gelb und grün und weiß, und der schwarze Löwe Weißenssees auf Gelb, den Oberst Feldmann als Banner nutzte. Die Truppen aus Weidquell und Eichenhain hatten sich etwas abseits der Strasse formiert, Eichenhain in der Mitte, die Piken des zweiten Weidquell geteilt auf den Flanken und die Schützen des ersten hinter der Linie. Einige Pferde standen noch in der Nähe herum und suchten nach Gras, und hier und da lagen Gestalten vor und neben der Schlachtreihe. Er hatte Oberst Feldmann und die Brüder Rossschild auf einer Anhöhe getroffen etwas hinter der Linie, wo sie die feindlichen Truppen beobachteten, die etwa eine Meile weit entfernt Aufstellung genommen hatten. Die Weidqueller hatten am letzten Abend noch weiter westlich gestanden, die Rossschilds und ihre Truppen südlicher, wo sie dann im Morgengrauen angegriffen wurden und ihr Lager aufgeben mussten. Die Truppen beider Lehen hatten sich eine Stunde vorher getroffen und bereits einen Angriff feindlicher Reiter abgewehrt. Gerade als Raphael eintraf, hatte sich feindliche Infanterie auf den Weg gemacht, war in einer breiten Linie vorgerückt. Einen Moment lang war Raphael erschreckt, dass Aurelia nicht mit dem Stab auf der Anhöhe war, aber Janosch hatte ihn beruhigt, dass sie unten in der Linie stand, bei den Bogenschützen, wo sie halbwegs sicher war.

Sie hatten Verstärkung gesichtet, die von Süden heranrückte, Kavallerie wahrscheinlich. Es war ein simpler Plan, die Falkensteiner mit Infanterie zu binden, bis die Reiter sie in den Rücken fassen konnten. Die Piken auf dem Flanken würden einen Angriff auf breiter Linie in den Rücken der Formation nicht aufhalten können. Also hatten sie beschlossen, sich zurück zu ziehen durch das Waldstück und sich, wenn der Feind ihnen folgen sollte, auf der anderen Seite zu stellen, wo ihre Flanken weniger offen waren und die feindlichen Truppen durch den Engpass der Strasse mußten.

Aurelia war tatsächlich bei den Männern des ersten Weidquell, und winkte Raphael einen schnellen Salut zu, als sie an ihm vorbei marschierten. Die Truppen waren guter Dinge, die feindlichen Reiter so vergleichsweise mühelos abgewehrt zu haben hatte ihre Moral gestärkt. Die Truppen waren eilig, aber nicht hastig durch den Wald gezogen, hatten sich auf der anderen Seite wieder aufgestellt. Direkt links der Reichsstrasse fiel das Land in einen Sumpf hinein ab, der das ganze Dreieck zwischen der Reichsstrasse und der Friedheimer Strasse auffüllte. Dort hatten sie ihre Flanke verankert, sich quer über die Strasse aufgestellt, das zweite Weidquell als Gewalthaufen ganz rechts, falls die Reiter um den Wald herum kommen sollten. Dann hatten sie gewartet. Die Trommeln der feindlichen Truppen waren lauter geworden, der Tritt hunderter Stiefel auf der Strasse, die Rufe der Offiziere. Die Falkensteiner standen still und warteten. Janosch und Aurelia ritten hinter der Linie auf und ab, sprachen mit den Männern. Wie Raphael diese Momente hasst. Man kann den Feind nicht sehen, aber man weiß dass er da ist. Dass er kommen wird. Die Anspannung steigt, weiter und weiter, bis sie beinahe unerträglich wird und man sich wünscht, dass es endlich losgehen möge, bis man den Feind verflucht, weil er so verdammt langsam angreift.

Sie kamen um die letzte Kurve, vier Reihen nebeneinander, im Laufschritt, stürmten los, als sie der wartenden Falkensteiner gewahr wurden, rannten geradewegs in die Eichenhainer Linien hinein, die wankten und einen Schritt wichen unter dem Ansturm, aber dann standhielten. Immer mehr Feinde kamen aus dem Wald heraus, im wildem Lauf, stürzten sich auf den nächsten Gegner, den sie finden konnten. Lederrüstungen und Speere, kleine Schilde, Mut und Aggression, gegen den festen Stahl schwerer Infanterie, gegen Langwaffen und hohe Schilde. Raphael hatte nach rechts Ausschau gehalten, er konnte ein gutes Stück den Wald entlang sehen, es waren keine Reiter in Sicht. Zeit, ein Risiko einzugehen. Er war auf die rechte Flanke herüber geritten, wo der Gewalthaufen wie ein Haken im rechten Winkel nach hinten aus der Falkensteiner Linie ragte.

Claire! hatte er gerufen, als er vor der kleinsten Gestalt der Einheit stand, Gesicht und Körper ganz verborgen hinter der Rüstung. Jetzt!

Sie hatte sich umgedreht und Befehle gerufen, und wie eine Tür an der Angel, sechs Schritt lange Spieße in Vorhalte, war das zweite Weidquell herumgeklappt. Immer noch waren Feinde dabei, aus dem Wald zu strömen, vor der Falkensteiner Truppe herrschte dichtes Gedränge und nun machten die Eichenhainer ihrerseits Druck. Ein paar Darothssöhne versuchten, unter den Spießen hindurch zu krabbeln, um vielleicht mit kurzen Waffen ein paar Beine zu erwischen, aber die Eichenhainer vertrieben sie in einem wilden Hauen und Stechen unter einem Wald aus Piken. Von zwei Seiten bedrängt, der Weg nach links durch den Sumpf versperrt, brach die Moral der Feinde, erst auf der rechten Seite, dann wichen sie überall vor den Falkensteinern wie die Brandung vor der Küste, nur um später wieder heranzurollen, liefen zurück in den Wald in wilder Flucht, schwemmten die Offiziere mit sich.

Ein lauter Jubelschrei war aus der Schlachtreihe erklungen, erinnert sich Raphael und auch er hatte eingestimmt, hatte Hände geschüttelt und Mäner für ihre gute Arbeit gelobt. Es schien wie Stunden, aber der Kampf hatte kaum fünf Minuten gedauert. Sie waren gerade dabei, die Verwundeten nach hinten zu bringen, als vorn das Trommeln wieder losging, vor ihnen, rechts, immer weiter, in langer Linie, länger als die Falkensteiner sich aufstellten. Und dann waren die Darothssöhne wieder zwischen den Bäumen hervorgetreten, eine lange, lange Linie, die sie nicht würden aufhalten können.

Raphael sieht zu, wie Aurelia mit ihren Händen Truppenbewegungen beschreibt, wie Janosch nickt und lacht und verschiedene Soldaten und Offiziere sich um sie geschart haben. Jetzt ist sie eine von ihnen, hat mit ihnen geblutet und gekämpft. Als sie sich hinterher begegneten, sie ohne Helm, mit einem blutigen Fetzen Stoff um den Arm, wo jemand das Zeug abgenommen und den Wamsärmel losgenestelt hatte, hatten sie sich wortlos umarmt, leer, froh, glücklich, entsetzt, erfüllt mit allen möglichen Empfindungen, die sie beide nicht in Worte fassen konnten. Dann hatte sie sich von ihm gelöst, ihn ernst angesehen und gesagt: Jetzt verstehe ich. Und Raphael hatte nur genickt.
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 15 Dez 2016, 23:01


Ob sich wohl die Männer dort drüben Hoffnung machen, dass Aurelia ihnen später Gesellschaft leisten wird? Dann werden sie wohl enttäuscht sein. Raphael seufzt und schüttelt den Kopf. Er hat seiner Schwester bis hierher vertraut, hat sie auf dem Feld bei den Männern gelassen, sie, die Träumerin, die immer Soldat spielen wollte als sie noch klein war, die ihn mit Weidenruten schlug bei ihren Gefechten am Flußufer, daheim in Stirland, und dann später mit Holzschwertern, als sie ernsthaft übten. Irgendwann hatte er sich eingestanden, dass sie besser war als er, dass sein Kopf für Zahlen und die Ordnung komplexer Zusammenhänge ihn bis ins Alter an den Schreibtisch fesseln würden, und dass sie hinausziehen würde, um Truppen im Feld zu führen. Wehe ihrem Gatten, sollte sie sich doch entscheiden, einmal einen Mann zu nehmen&

Ein letzter Blick in die Runde, auf feiernde Gesichter, auf ernste Minen, starre Blicke ins Feuer, von jenen, die heute enge Freunde und Kameraden verloren haben, aber meist auf erleichterte Ausdrücke, auf die Gesichter von Soldaten, die ihre Hand ins Maul des Löwen gelegt haben und doch davon gekommen sind.

Musenhang hatte sie gerettet, als der Druck zu stark wurde, er war mit den Neu-Falkensteinern auf die Friedheimer Strasse gezogen, hatte dort keine Feinde vorgefunden, aber dafür Magnusbrunner Verstärkungen. Diese waren schließlich doch auf dem Schauplatz eingetroffen, nachdem sich alle schon gefragt hatten, warum selbst Wittringen seine wenigen Truppen schickt, aber Baron Burgenwacht nicht. Sie waren aufs Feld gezogen, gerade als das zweite Weidquell einzuknicken drohte, enge Formationen unter rot-gelben Bannern, angetrieben von Baron Musenhang selbst im gebläuten Stahl. Aber auch das hatte nur die Linie gehalten, erst als die Magnusbrunner schwere Reiterei mit ihren goldenen Helmzieren die feindliche Kavallerie, die schließlich doch den Weg um den Wald herum gefunden hatte, zerstreuen konnte, kam es zu einer Pause im Gefecht.

Es war kein Rückzug einer Seite, mehr eine beiderseitige Übereinkunft, jetzt kurz Pause zu machen, ein inoffizieller Waffenstillstand. Beide Seiten suchten etwas Abstand voneinander, Verwundete wurden sortiert, wobei Soldaten beider Seiten einander näher kamen als während des Gefechts, es fielen harsche Worte, aber niemand zog die Waffen. Sie hatten sich gefragt, Raphael, Oberst Feldmann, die Rossschilds, Musenhang und Karolus Mückeburg, warum die Feinde anhielten und nicht weiter angriffen. Dann hatten die Magnusbrunner Antwort gebracht: noch mehr Feinde von Süden, mehr als sie sogar jetzt würden halten können. Und so hatten sie sich nach Westen zurück gezogen, dem Expeditionskorps entgegen.

Raphael macht sich auf den Weg durch die Feiernden, die ihn ignorieren oder ansprechen und seine Hand schütteln, er antwortet ohne nachzudenken, ohne sich einen Augenblick später erinnern zu können, mit wem er gerade gesprochen hat. Jenseits des Feuers ist es schockierend kalt, oder vielleicht ist das auch nur der Kontrast zur Hitze der Flammen. Zur linken sind die Herzogsstolzer untergebracht, Reihe auf Reihe von Zelten, rechts Greifenheim, ein einzelnes Banner unter Sollstärke. Aber er geht vorbei, zu den großen Zelten, die nahe der Reichsstrasse stehen. Er erinnert sich noch, wie er mit der Tuchmanufaktur hat verhandeln müssen, die ihm nur 13 Zehntel Schritt breite Bahnen liefern wollte, die auch nur fünf Schritt lang waren. Das reicht für Soldatenzelte, aber in einem Lazarettzelt braucht man mehr Platz, daher hatte er 15 Zehntel gefordert und acht Schritt lange Bahnen. Am Ende war es die Drohung, auf eingeführte Ware zurück zu greifen, die es dann doch technisch möglich machte, Stoff so zu weben wie er es verlangte; auch wenn der Gedanke, Falkensteiner Soldaten in Zelten zu behandeln, deren Leinwand nicht dort hergestellt wurde, einigen im Stab großes Unbehagen verursachte.

Vor dem Zelt hat sich die übliche Ansammlung gebildet von besorgten Kameraden und erschöpften Feldschern und Ordonanzen in blutbefleckten Kitteln, die abseits stehen, eine Pfeife rauchen und in die Ferne starren. Raphael tritt zwischen ihnen hindurch, ins fahle Licht der Laternen, die das Zelt erhellen, in den Rauch der Kohlenbecken, die sich mühen, das geräumige Innere zu wärmen. Feldbett reiht sich an Feldbett, jedes ist besetzt und dies ist nur eines von fünf solcher Zelte. Es ist überraschend leise, auf dem Feld haben sie geschrien und geflucht und geweint und gefleht, hier aber sind die Verwundeten verstummt, liegen in unruhigem Schlaf oder starren mit den glasigen Augen derjenigen, die den Mohnextrakt bekommen haben. Melisande ist da, sie sitzt auf einem Hocker, der Rock hängt zerrissen an ihr herunter, darunter trägt sie immer noch den Harnisch mit einer frischen Delle darin. Sie hält in ihrer Hand die blutigen Finger eines jungen Mannes, ein leises Zittern läuft durch seinen Arm, dann liegt er still. Sie presst die Augenlider aufeinander und ein Dutzend verschiedener Emotionen laufen über ihr Gesicht, dann schluckt sie einmal und zieht mit dem anderen Arm die Decke über seinen Kopf. Sie sieht hoch zu Raphael und schweigt. Es gibt keine Worte.

Die Verstärkung der Darothssöhne hatte die sich zurückziehenden Truppen erreicht, bevor sie den Anschluss an das Expeditionskorps geschafft hatten. Raphael war vorausgeeilt und hatte Melisande Bericht erstattet über die Kämpfe des heutigen Morgens und sie hatte schnellen Schritt befohlen. Die Reichsstrasse führt kurz vor der Grenze zwischen den Baronien über eine Bodenwelle, so dass die heranziehenden Truppen den Kampf nicht sehen konnten, aber der Kampflärm war schon lange vorher zu vernehmen und sie waren dem Expeditionskorps etwas vorausgeritten, um auf dem Kamm der Bodenwelle die Lage zu überblicken.

Die Falkensteiner Truppen hatten sich quer über die Strasse aufgestellt, an der linken Flanke einen steilen Hügel, von dem aus das 1. Weidquell herunterschoss. Das zweite stand wieder auf der anderen Flanke, um die feindlichen Reiter abzuwehren, ihrerseits wieder gedeckt durch die Rotjacken aus Aarsblick, die noch weiter auf der Flanke und etwas zurück aufgestellt waren. Die Goldhelme waren im Gefecht mit feindlichen Reitern, wagemutig weit vorn, wie immer. Die Zahl der feindlichen Soldaten war erheblich, die Falkensteiner hatten nur eine Linie aufgestellt, die Darothssöhne griffen in Überzahl an. Siebenhundert Schritt weiter hinten stand mindestens noch einmal dieselbe Zahl Männer. Eine große Abteilung marschierte auf die andere Seite des Hügels zu, um ihn zu umgehen und die Falkensteiner über die Flanke aufzurollen. Dieses Mal würden sie sich nicht zurückziehen können, dazu warteten zu viele feindliche Reiter auf der rechten Seite.

Melisande hatte die Expeditionsstreitmacht den Truppen links des Hügels entgegen befohlen. Die ersten drei Banner in der Marschordnung, Herzogsstolz, Heideweit und Magnusbrunn, verließen in Kolonne die Strasse und rückten im Laufschritt vor, während die anderen Banner hinter ihnen Linie bildeten und langsam nachrückten. Die Darothssöhne hatten leichte Infanterie geschickt und beide Seite brachen, als sie einander gewahr wurden, in wilden Sturmlauf aus, das 10. Herzogsstolz vorne weg mit seinen Zweihändern.

Schon vor dem Zusammenprall der Reihen wurden die Invasoren langsamer, dann hielten sie an, vorn zuerst, so dass die Männer, die weiter hinten gelaufen waren, von hinten auf die sich stauenden Soldaten weiter vorn aufliefen, und versuchten schließlich, umzudrehen. In diese dichte gepackte Masse brachen die Falkensteiner ein, schlugen Männer zu Boden die ihnen bereits den Rücken zugewendet hatten und schlicht nicht davon kamen im Gedränge.

Hier und da hielt ein Offizier ein paar Männer zusammen, die standhielten, aber diese vereinzelten Inseln des Widerstands wurden von der ersten Welle überlaufen und mußten sich dann dem Rest des Expeditionskorps stellen. Der Sturmlauf der ersten Banner trieb die Darothssöhne lange vor sich her, bis sich aus der feindlichen Reserve eine dünne Linie Bogenschützen löste. Sie liefen ihren fliehenden Kameraden entgegen, zogen Pfeile auf, zielten und schossen, die Pfeile flogen im Boden durch die Luft. Hier und da wurden Falkensteiner getroffen und auch ein unglücklicher Darothsson, der mit einem Pfeil senkrecht aus der Schulter ragend noch den Weg zu seinen eigenen Linien suchte, bevor ihn der Hieb eines Zweihänders endgültig von diesem Ziel abbrachte.

Gemeinsam treten sie aus dem Zelt, nachdem Melisande mit allen Soldaten gesprochen hat, die bei Bewußtsein sind. Sie hatte ihnen gedankt, ihren Mut und ihre Tapferkeit gelobt, versprochen, Ehefrauen und Müttern Nachricht zu bringen. Ihr Gesicht ist grau, nicht nur im fahlen Abendlicht, sondern weil es bedeckt ist mit Schweiß und Dreck und weil sie sich kaum noch auf den Füßen halten kann. Einer ihrer Adjutanten tritt heran mit einem Stapel Wachstafeln in der Hand und einer Schale, aus der Dampf und der unfassbar köstliche Geruch von warmem Essen aufsteigt. Der Junge will Melisande ansprechen, aber Raphael winkt ihn beiseite, nimmt ihm die Schale ab und deutet auf die Wachstafeln. Die da verlierst du auf dem Weg durch das Lager. Vor morgen früh findest du sie nicht mehr wieder, verstanden? Der Junge nickt und Raphael reicht Melisande die Schale, die auf das hölzerne Gefäß herabsieht, als wäre ihr nicht ganz klar, was das genau ist. Es ist ein wässriger Brei aus der Kartoffel. Komm zur Armee haben sie gesagt. Jeder Appell ist eine Parade, jeder Sold ist ein Vermögen und jedes Mahl ist ein Banket.

Melisande sieht ihn an. Wie hoch ist die Rechnung?

Raphael zuckt mit den Schultern. Noch haben sich nicht alle gemeldet. Nicht unerwartet hoch bei einem harten Handel wie diesem, würde ich sagen. Er hat sich über die Jahre daran gewöhnt, so zu reden, so leicht, über hunderte von Menschenleben. Dort auf dem Feld liegt ein messbarer Anteil der Bevölkerung des Herzogtums, aber für ihn sind es nur Zahlen, dürfen es nur Zahlen sein. Komm zur Armee, haben sie gesagt. Wo wir dich schinden und verfluchen, wo du Dinge lernst, Dinge siehst, von denen du nicht gedacht hättest, dass Menschen dazu fähig sind, wo du in Ausrüstung gesteckt wirst, die teurer ist, als das, was deine Familie im Jahr zum Leben hat, wo du getrieben und geschunden wirst, um zuerst irgendwo zu sein und dann Monatelang dort wartest, wo Jahre der Ausbildung, des Wartens und Übens verfliegen in den kurzen Minuten absoluten Terrors, während die Pfeile fallen und die Schwerter ihre Kreise ziehen, wo du am Lebens bleibst, weil du dort stehst und zwei andere sterben, weil sie woanders stehen, wo sie verscharrt werden in flachen Gräbern, um Namen zu werden auf einer Verlustliste, Zahlen in einem Bericht und Teil einer Akte irgendwo im Archiv, während die Kommandanten auf ihren Burgen sitzen und sich ihrer Heldentaten rühmen.

Dreimal waren sie angestürmt, dreimal wurden sie abgewiesen. Jedesmal wurde die Linie kürzer, die Schlangen der Bahren auf dem Weg zur Triage länger. Nach dem dritten Mal hatten sie keine Kraft mehr, die Milizen und Freiwiligen waren in die Linie gezogen und litten heftig, weil sie schlechter ausgebildet waren als die Feinde und anders als die Regulären, nicht besser gerüstet.

Und dann kamen sie nochmal. Vor der Falkensteiner Linie stiegen kleine Rauchsäulen auf und Männer fielen aus der Marschordnung der Feinde und Raphael fühlte einen Moment lang Stolz in sich aufsteigen. Gezogene Hochlandmusketen aus dem Imperium, jede für sich so teuer wie das Zeug der schweren Infanterie. Noch einmal stieg der Rauch auf und wieder fielen Männer aus der Formation, dann zogen sich die Tirailleure zurück auf den Hügel, bevor die feindlichen Bogenschützen in Schußweite waren. Der Schrecken eines jeden Soldaten, beschossen zu werden, ohne zurückschlagen zu können. Beim zweiten Angriff hatten die Feinde über die Verluste so sehr gezürnt, dass sie schneller vorgerückt waren, ihre Formation hatte sich aufgelöst und die dichten Reihen der Falkensteiner konnten in eine Lücke hinein vorstoßen und diese Attacke schnell abwehren.

Beim dritten Mal war die Miliz auf der linken Seite eingebrochen, und der Generalsstab war hinter Melisande im gestreckten Galopp her den Hügel herab geprescht, hatte die durchbrechenden Soldaten von der Seite aufgerollt und halten können, bis die Reserve von hinten heran war, um die Lücke zu schließen.

Aber jetzt hielten sie Disziplin, kamen näher, immer näher, auch ihre Reihen kürzer, die Kolonnen weniger tief, aber immer noch in der Überzahl. Und dann marschierte noch eine weitere Formation los, zielte auf die andere Seite der Linie, wo die regulären Truppen standen in ihren bunten Röcken, dazwischen die Miliz in ihrer leichten Rüstung, als würde langsam die Farbe aus der Schlachtreihe auswaschen. Sie hatten nur noch drei Banner Reserve, Kappelner und Aarsblicker aus der Expeditionsstreitmacht und die Greifenheimer Regulären, die aus der Linie gelöst worden waren, um sich auszuruhen.

Beide Flanken wankten, würden nicht mehr lange standhalten. Die Darothssöhne hatten endlich verstanden, wie sie Falkenstein würden schlagen können, wo sie Mann gegen Mann aggressiver und beweglicher waren, aber durch die schwerere Rüstung der Falkensteiner im Nachteil, und taktisch weniger versiert und flexibel. Abnutzung. Beide Seiten würden die Verstärkung dringend brauchen. Links stand Büttel vor den Männern des Expeditionskorps, rechts die Barone, Ritter, Obersten, um ihren Soldaten Mut zu machen, ihre Moral zu stärken für ein weiteres Gefecht.

Melisande hatte den Kopf gewendet von einer Seite zur anderen. Sie alle wußten, von dieser Entscheidung würde der Verlauf der Schlacht abhängen, auch die Darothssöhne müßten am Ende ihrer Willenskraft angekommen sein, noch einmal halten, dann hätten sie gesiegt, so der Gedanke. Sie hatte tief Luft geholt und dann ihr Urteil verkündet. Schickt sie nach rechts. Büttel wird halten.

Und so hatten sie gewartet, die rechte Seite gestärkt, die Bogenschützen hatten ihre letzten Pfeile aufgelegt, die Infanterie hatte den Troß wieder nach hinten geschickt, der sie mit Wasser versorgte. Alle warteten auf den Begin des großen Spiels, darauf, welche Seite zuerst nachgibt.

Und als die Feinden noch 150 Schritt entfernt waren, klang ein Horn über das Feld, und gleich darauf ein zweites. Taaaa-Daaaa. Und nocheinmal, tiefer. Daaaa-Daaaa. Und für einen Moment brach die ganze Reihe in lauten Jubel aus. Herzogsstolzer. Auf der Reichsstrasse. Direkt im Rücken der Feinde. Die vorrückenden Truppen hielten an, warteten zögerten und aus den Reihen der Falkensteiner wurden die Rufe laut, doch zum Angriff zu rufen, die Feinde jetzt, da sie zögerten, entgültig zu zerschmettern. Aber der Ruf kam nicht. Melisande war ruhig geblieben. Hatte abgewartet. Und die Darothssöhne hatten sich umgedreht und waren nach Süden davongelaufen, der Länge nach an der Falkensteiner Schlachtreihe entlang, die ihnen befreit und erleichtert Beleidigungen zurief.

Sie sitzen am Feuer, neben Aurelia und Oberst Feldmann und Melisande kaut gerade auf dem letzten Löffel ihres Breis herum. Ich verstehe ja, dass wir nur dank dieses Zeugs durch den Winter kommen, aber es ist einfach nur... Sie beendet den Satz nicht, sondern gießt den Rest Flüssigkeit in der Schale vor sich auf den Boden. So ein elender Fraß.

Aurelia nickt. Und das, wo wir alle Helden sind. Wo ist das Bankett nach dem Sieg?

Raphael sitzt nur da und schaut zu. Er hat einem Weibel eine halbvolle Flasche mit klarer Flüssigkeit abgenommen, aus der er nun kleine Schlucke nimmt, die seinen Mund verbrennen und seine Gedanken verlangsamen. Vermutlich wieder ein Destillat aus der Kartoffel. Und ja, heute waren sie alle Helden.

Gerne wäre er ein Vogel gewesen für diesen Moment. Jeder Bewaffnete, den Falkenstein aufbringen konnte, aufgestellt in einer langen Reihe, drei Mann tief. Die Herzogsstolzer, die die Nacht über durchmarschiert waren, weil sie Berichte über die massierte Konvergenz der feindlichen Marschkolonnen hatten, auf der linken Seite, das Expeditionskorps in der Mitte, die Regulären auf der rechten. Wer zu welcher Einheit gehörte, war gleichgültig, jetzt waren sie alle eine Armee. Die Darothssöhne hatten sich zwei Meilen weit von der Strasse entfernt und dort Stellung bezogen, mit dem Dörfchen Eichstädt zu ihrer linken. Aus dem Dorf klang Kampflärm herüber, lauter, als ihn die Verwüstung einer zivilen Einrichtung erforderte.

Sie alle wußten, es war noch nicht vorbei. Der Feind hatte ihnen schon einmal das Feld überlassen, aber noch standen seine Reihen. Sie alle waren müde, blutig, geschunden, aber es war noch nicht vorbei. Und sie waren bereit, und willens. Den Feind rennen zu sehen hatte ihre Moral enorm gehoben. Spießer, Schildträger, Schütze, selbst die Feldscher würden mitgehen, um den Feind mit bloßen Händen auf den Boden zu prügeln. Keiner von ihnen hatte selbst gesehen, was diese Untiere in Kappeln angerichtet hatten, aber Geschichten darüber gab es zuhauf. Jetzt, wo die Moral hoch genug war, die Zuversicht zurückgekehrt, kam auch die Wut wieder, der Zorn auf diejenigen, die es wagten, ihre Heimat so zu verwüsten. Sie würden gehen, keine Frage, und jeden totschlagen, den sie erwischen würden. Noch einmal, meine Freunde, noch einmal.

Melisande hatte vor ihnen gestanden, blutig, den Wappenrock mitten über dem goldenen Hirsch zerrissen, den Helm vom Kopf geschlagen, den Hammer in der Hand. Ungebeugt, ungeschlagen. Es war totenstill auf ihrer Seite des Feldes, alle horchten, warteten auf die große Rede vor dem Sturm, die mitreißenden Worte, gedacht, wankende Herzen mit Zuversicht zu erfüllen. Statt dessen stand sie nur da, schaute die Reihe auf und ab, suchte den Blick einzelner. Und stellte nur eine einzige Frage: WER KOMMT MIT MIR? Und wenn den Darothssöhnen vorher nicht klar gewesen war, was ihnen nun blühte, war das zornige, wütende Gebrüll aus den Kehlen aller Falkensteiner ein unmissverständliches Zeichen.

Und mit einem Schritt, seitwärts, die Vorderseite noch den eigenen Männern zugewandt, begann Melisande den Anfang vom Ende für die Invasoren aus dem Süden. Wie eine gewaltige Welle viele hundert Männer breit stürmte Falkenstein auf sie zu, bereit, sie hier und jetzt bis auf den letzten Mann auszurotten. Die Goldhelme, die Jagdfalken, St. Georger schwere Reiter, Heideweiter, Eichenhainer, alle Reiter, die sie aufbringen konnten flogen auf den Seiten voraus.
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 15 Dez 2016, 23:02


Und wie ein Mann brachen die Feinde vor ihnen, drehten sich um und flohen, kopf- und haltlos. Das Gebrüll der Falkensteiner wurde nur noch lauter, die saubere Reihe löste sich auf, als einige noch mehr Kraft fanden als andere und schneller liefen, der Abstand wurde kürzer, erst einzelne Darothssöhne, dann immer mehr fielen zurück und wurden von der zornigen Welle einfach verschluckt. Aber sie waren immer noch in der Überzahl, und leichter gerüstet, hatten mehr Pausen vom Kampf gehabt und so konnte die Mehrzahl der Feinde doch entkommen. Die Falkensteiner Reiter verfolgten sie noch eine Strecke weit, aber auch ihre Kraft war bald erschöpft und sie mußten die Feinde schließlich ziehen lassen.

Melisande geht, muß noch andere Feuer aufsuchen, noch andere Befehlshaber beglückwünschen und sich gratulieren lassen für den großartigen Sieg. Raphael ist froh, nur der Quartiermeister zu sein. Es ist manchmal ein langweiliger Posten, oft entnervend, wenn er wieder mit rekalzitranten Händlern in Diskurs treten muß, aber Zahlen und Fakten haben etwas beruhigendes, sind ihm vertrauter als Menschen. Er hätte sein sollen wie Aurelia, oder sie hätte der Sohn sein sollen, der er nicht ist, den ihr Vater sich gewünscht hatte. Aber das sind dunkle Gedanken, aus ihrem Gefängnis befreit vom Kartoffelschnapps, der nun, nach einer halben Flasche gar nicht mehr so übel schmeckt. Er ist, wer er ist, und wenigstens heute kann er stolz sein auf sich, stolz auf seine Heimat, darauf, Teil von etwas zu sein, das größer ist als er selbst. Wäre es anders gekommen, wären die Herzogsstolzer nicht rechtzeitig aufgetaucht, würde er jetzt vielleicht dort draußen liegen. Aber er lebt, und morgen wird er weiter Listen schreiben und Berichte verfassen und in Hundert Jahren werden sie das, was heute geschehen ist, in Büchern nachlesen, und mit Holzblöcken nachspielen, um Offiziere zu schulen. Er wird diese Flasche leeren und über die Heldengeschichten der anderen Weidqueller lachen und dann sein dünnes Abendmahl neben sein Zelt kotzen und morgen früh seinen wehen Kopf und seinen angeschlagenen Stolz beklagen. Aber das ist erst morgen. Jetzt erstmal lebt er.
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 10 Jan 2017, 16:29


Brief an den Reichskanzler Blasius Seiburger

Verehrter Reichskanzler

ich schreibe euch heute, um euch über den Fortschritt des Kampfes gegen die Darothssöhne zu informieren. Seit der Schlacht von Eichstädt befinden sich die Invasoren auf dem Rückzug in Richtung Osten. Es ist ihnen nicht gelungen, abgesehen von dem einzelnen Schlag tief hinter unseren Linien gegen Bärenau, Kappelner Grund zu verlassen. Wir rücken hinter ihnen her, auf breiter Front, zihene von Weiher zu Weiher, von Hof zu Hof. Derzeit stehen unsere Truppen in einer Linie von Ruppertsberg über Madenburg bis Feliansau. Die Invasoren leisten immer noch Widerstand, aber wir sehen auf eine lange Reihe erfolgreicher Gefechte zurück. Auf ihrem Vormarsch haben die Darothssöhne auf einen Troß verzichtet und sich aus dem Land ernährt und nun gehen ihnen scheinbar die Vorräte aus. Immer wieder sehen wir, dass sich einzelne Kämpfer, kleine Trupps und ganze Einheiten uns stellen, oft gegen eine hoffnungslose Übermacht. Doch auch diese Erfolge haben ihren Preis. Vorgestern haben sich die Goldhelme einmal mehr zu weit vorgewagt und wurden von Berittenen in der Flanke gefasst. Durch die Unterstützung der Widder und der Jagdfalken ist ihnen die Flucht gelungen, aber nur unter ernsten Verlusten. Die Herren Reinhard von Crohn und Hans Wildrich zu Gehmenheim sind gefallen, als sie sich bei Madenburg dem Sirach zum Duell stellten. In den übrigen Einheiten ist die Moral hoch, und der Zorn der Truppen wächst. Wir nehmen nur wenige Gefangene, da wir die Truppen kaum zurück halten können, sich gebührlich zu verhalten. Angesichts der niedergebrannten Höfe und verwüsteten Weiher kann ich es ihnen kaum verdenken.

Wir haben die Stadt Kappeln befreit, die nicht direkt belagert wurde, aber feindliche Truppen hatten sich auf den Strassen festgesetzt, um die Zugänge zu kontrollieren. Die Mehrzahl der Flüchtigen aus den ländlichen Teilen Kappelns hat dort Zuflucht gesucht, die Stadt ist völlig überfüllt und die Nahrungsvorräte gehen zur Neige. Erste Hilfslieferungen aus Aarsblick und Weidquell sind aber schon eingetroffen, weitere Unterstützung ist aber vonnöten, um den Menschen dort über den Winter zu helfen.

Je weiter wir vorrücken, desto größer wird eine Sorge, die mich umtreibt. Die Darothssöhne sind mit einer Flotte von Süden herangesegelt, die nun immer noch vor der Küste vor Anker liegen dürfte. Wir haben derzeit keine Truppen übrig und keine Möglichkeit, an den feindlichen Linien vorbei vorzustoßen und diese Schiffe zu nehmen. Diese Tat würde ihnen aber den letztlichen Rückzug verwehren und ihre Moral vermutlich endgültig brechen. Ich bin mir der Tatsache bewußt, dass Falkenstein keine Marineinfanterie besitzt, aber der Herr von Wolfsburg hatte einen kühnen Plan, von Aarsblick durch den Sigmargraben vorzustoßen bis an die Küste. Seine Männern könnten die Schiffe erobern und wenn aus St. Georg dann brave Falkensteiner Seeleute an Bord gingen, wären dem Feind die Schiffe verwehrt und Falkenstein um die Prisen reicher. Dies ist der Rat des Feldkommandos unter der Frau Melisande. Sie hat keine Autorität über den Herrn von Wolfsburg, noch über die St.Georger Marine, aber wir sprechen dies als Empfehlung aus.

Ich grüße euch aus dem Feldlager der vereinten Falkensteiner Armee

Raphael von Langeneck
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Benutzeravatar
Bastian
Offline
Beiträge: 1335
Registriert: 08 Jul 2010, 13:34

Re: Aarsblicker Neuigkeiten

Beitrag von Bastian » 10 Jan 2017, 16:30


Der Schemel ist alt und klapprig, grob gezimmert aus Holzresten. Wilfried Bogner tritt einen Schritt vor und legt die Stiefelsohle auf die Kante der Sitzfläche. Der Mann ihm gegenüber starrt ihn an, sein Augen sind hasserfüllt, er flucht und schimpft, verhöhnt Wilfrieds Männlichkeit und verspricht, seine Frau aufzusuchen, nachdem er ihn ausgeweidet hat.

Wilfried starrt einfach nur zurück. Die Worte fließen an ihm vorbei wie das Wasser des kleinen Bächleins, in dem er sich heute morgen gewaschen hat. Zum ersten Mal seit Wochen hatten sie die Gelegenheit, die Ruhe, eine Nacht zu halten und zu schlafen, nun als Teil der vereinten Falkensteiner Armee. Aber die bleierne Schwere seiner Glieder, das hohle Gefühl, die Leere in ihm, die hat diese eine Nacht nicht vertreiben können. Die Ruhe, der Frieden seines Lebens mit Lene, die nur drei Wochen zurück liegen, scheinen ein Ding der Vergangenheit zu sein, so weit weg wie die Bilder seiner Kindheit. Er war in dieses Leben geflüchtet, nach Weidquell, nach den Tagen und Wochen, in denen er umher irrte und sich wunderte, wo der Wilfried Bogner steckte, der er früher gewesen war. Lene hatte nie gefragt, und er hatte es nie erzählt, und wenn man oft genug die Hände wäscht, dann lernt man das Blut zu ignorieren, das immer noch daran klebt.

Es fällt ihm leicht, diese Arbeit zu tun, das Bein anzuspannen und den Schemel wegzutreten, zuzusehen, wie der Man ein kleines Stück nach unten ruckt, dann zappelt und sich dreht, wie seine Augen weit werden, der Mund offen und nach Luft schnappend, die nicht mehr in seine Lungen gelangen wird. Selbst die Tapfersten, die am lautesten fluchen und am bösesten drohen fangen an zu stinken, bevor sie endlich ruhig hängen. Wilfried schaut ihm dabei zu, regungslos, er hat das schon so oft gesehen. Ist er schon tot, und sein Körper hat das nur noch nicht verstanden?

Der Darohtssohn hängt jetzt still und Wilfried stupst ihn mit dem Finger an. Die anderen Freischärler grinsen und von hinten kommt lauter Jubel zu ihnen herüber, und das laute Schimpfen eines Offiziers. Die Armee marschiert hinter ihnen vorbei, verfolgt die Invasoren auf ihrer Flucht zurück an die Küste. Auch die regulären Soldaten nehmen kurios wenig Gefangene, auch wenn die Offiziere das lautstark fordern.

Noch zwei haben sie, noch zwei Gefangene, um ein Gleichgewicht herzustellen für die Frau und die beiden Kinder, die schon an der Eiche hangen, als sie vorbei kamen. Da waren noch andere, aber Mariella hat ihr Messer gezückt und sie schreien lassen. Sie haben Mariella aus den Trümmern ihres Hauses gerettet, gegen ihren Mann und ihre Töchter hatten sie das Messer erhoben und sie selbst war nur mühselig bedeckt von den Resten ihres Kleides. Nun ist sie Teil der Freischärler. Sie sind nur noch ein Dutzend, manche sind nach Hause gegangen, andere sind morgens einfach nicht mehr aufgewacht, wieder andere wurden im Kampf erschlagen. Eichstädt war furchtbar. Sie hatten die Darothssöhne verfolgt, die es aufgegeben hatten, leere Gehöfte anzuzünden und nach Osten zogen, hatten sich in Eichstädt festegesetzt mit den Kappelner Regulären, bis die Invasoren sie bemerkten. Häuserkampf ist eine brutale und blutige Angelegenheit, das wußte Wilfried schon vorher aus bitterer Erfahrung, aber Eichstädt war etwas ganz anderes. Keine Seite wollte weichen, konnte weichen, sie schlachteten sich in Türen stehend, auf Treppen, in Kellern ab, Welle auf Welle, stundenlang. Die Feldschlacht draußen dauerte an, Anmarsch, Nahkampf, dann Rückzug, Ausruhen, von vorn. Jedes Haus war sein eigenes Schlachtfeld, wurde verbissen gehalten bis zum Letzten. Weniger als tausend Schritt von der Grenze nach Eichenhain entfernt wurde es zum letzten Punkt des Wiederstandes, dort setzten sich die Kappelner fest und hielten stand. So wird es in den Geschichtsbüchern stehen. Aber sie, die dort gekämpt haben, sie kennen die ganze Geschichte.

Für Wildfried ist es nur ein weiteres Gewicht, das an seiner Seele zerrt. Er hat in sich hinein gesehen und in all der Leere einen kleinen Kern gefunden, ein warmes Licht, und überrascht festgestellt, dass er Haß empfindet. Aber auf wen? Auf ihre Feinde? Er tritt vor den nächsten Schemel, darauf steht ein junger Mann, wortlos flehend mit Tränen in den Augen. Wilfried sieht ihn an, regungslos, bis der Junge erkennt, dass er hier keine Gnade finden wird, und als er den Blick abwendet, tritt Wilfried den Schemel weg. Sie sind hier schon wieder weit im Osten, nahe der Küste. Die Darohtssöhne haben nicht viel Raum mehr übrig, um zurück zu weichen. Hier und da stellen sich einzelne Einheiten, aber sie gehen allesamt unter. Der Zorn der Falkensteiner ist grenzenlos und wächst mit jedem Tag, den sie auf dem Marsch verbringen. Im Westen, wo die Invasoren erst nach vielen Tagen durchkamen, hatten die Menschen ihre Höfe aufgegeben und waren samt und sonders geflohen, und nur eine lange Spur von Rauchsäulen, die aus brennenden Häusern aufstieg, zeigte den Weg der Feinde. Weiter östlich, wo die Darothssöhne gegen den Widerstand der Miliz standen, gegen die Freischärler, später gegen Verstärkungen aus Eichenhain, aus Aarsblick und ja, auch aus Weidquell, finden sie die Spuren bitterer Kämpfe, die Spuren der freundlichen Aufmerksamkeit der Angreifer gegenüber den Bauern. Aber ihr Werk ist hastig und wenig kunstvoll, sie standen hier bereits unter Druck und mußten sich eilen. Noch weiter östlich wird es schlimmer. Hier stand ihnen niemand entgegen auf ihrem Durchmarsch, im weiten Umkreis sind nur wenige Höfe verschont geblieben, die Bevölkerung hatte keine Warnung und leistete kaum Widerstand. Gestern haben die Magnusbrunner eine Gruppe Feinde gestellt, und als die Offiziere die Männer zur Schlacht aufstellen wollten, sind die durchgegangen wie wilde Pferde, Infanterie auf der einen Seite, die Goldhelme auf der anderen. Kein einziger Gefangener.

Wilfried stellt sich vor den letzten Schemel. Der dritte Darothsson lässt den Kopf hängen, hat sich scheinbar schon aufgegeben. Wilfried will schon gegen den Schemel treten, da schaut er doch noch hoch. Seine Augen sind blau, hellblau und plötzlich ist Wilfried wieder auf dem Marktplatz, und vor ihm steht die Frau mit den blauen Augen, überall um sie herum wird geschrien, andere Weidqueller, die hingerichtet werden, Angehörige, die gezwungen werden, dem zuzusehen, die Kappelner Soldaten und mittendrin Galgen Grimstedt. Er war ein freundlicher, menschennaher Mann gewesen, ein guter Landesherr, bis er nach Weidquell kam. Etwas änderte sich dort in ihm, aber Wilfried hatte nie erfahren, was. Aber diese Änderung hatte auch sein Leben mitgerissen, von dem des loyalen Lehensnehmers, der sich in der Armee verpflichtet hat zu etwas viel schlimmeren, viel dunkleren. Und dort auf dem Platz, in all dem Lärm ist es still um die beiden, Wilfried und die Frau, die sich unverwandt ansehen. Die anderen hängen schon an ihren Seilen, aber die Frau noch nicht, Wilfried steht da und versucht zu ergründen, was sie ihm sagen will, was ihr Blick bedeutet. Und als es ihm klar wird, wallt rote Wut in ihm auf, mit einem Knurren tritt er den Schemel beiseite und dreht sich um, will nicht sehen, was dann passiert. Wie kann sie es wagen? So viele Dinge könnte sie denken und fühlen, aber Mitleid? Mitleid?

Wilfried schüttelt den Kopf. Bis heute kann er nicht sagen, wie er es geschafft hat, dem Sturm zu entkommen, als die Weidqueller ihre Stadt zurück geholt haben. Er ist der letzte der Verräter, der Abtrünnigen, der Gefolgsleute des Schlächters. Er sieht den Gefangenen an und muß sich eine Träne aus dem Auge wischen. Es ist nicht gerecht.

Der Mann sieht ihn an, fragend.

Ich sollte da hängen. Er selbst ist es. Er hasst nicht die Angreifer, nicht Grimstedt, der ihn auf den Pfad geführt hat, an dessen Ende er nun steht, er hasst sich selbst, für seine Schwäche, seine Feigheit, für seine Bereitschaft, den einfachen Weg zu gehen, statt zu tun, was richtig ist.

Wilfried sieht sich um. Die anderen Freischärler stehen um ihn herum, schauen ihn verwirrt an. Ich bin fertig mit euch. Er muß nach Haus. Muß nachsehen, ob Lene es geschafft hat, aber die Invasoren waren nicht in dieser Gegend. Sie wird ihm vergeben. Vielleicht kann er ihr alles erzählen, irgendwann. Er dreht sich um, geht los, an den anderen vorbei, abgerissene, hartgesichtige Gestalten. Der Herr von Staufenburg sitzt nebenbei, stiert in die Luft, streitet sich mit seiner Frau. Wilfried vermutet, dass er, wenn alles gesagt und getan ist, wieder der letzte Überlebende sein wird. Jetzt geht er nach Haus und versucht, all dies hinter sich zu lassen. Und wenn die Augen der jungen Weidquellerin ihn dann immer noch verfolgen, wenn Lene ihm nicht vergeben kann, wenn er sich selbst nicht vergeben kann, dann ist die Klippe nicht weit weg.
Ehre ist etwas Wunderbares, aber sie ist ein Mittel, kein Ziel. Ein Mann der ehrenvoll verhungert, hilft damit nicht seiner Familie und ein Ritter der sich ehrenvoll in sein Schwert stürzt rettet damit nicht das Reich

Antworten